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Hiobs Brüder

Titel: Hiobs Brüder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rebecca Gablé
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»Barmherzig. Ich glaube, das ist es, was ich meine.«
    Alan gab einen Laut des Unwillens von sich. »Jetzt bist du ziemlich durchschaubar, Reginald.«
    Der schnaubte. »Du denkst, ich wollte dir schmeicheln? Du irrst dich. Ich halte Barmherzigkeit für keine Tugend. Im Gegenteil. Ich könnte es tun. Das weißt du, oder? Wenn unsere Rollen vertauscht wären, könnte ich dich hier liegen lassen, auf dass du Stück um Stück an deinem Entsetzen verreckst. Und weil ich das könnte, bin ich stark. Viel stärker als du. Stärke ist die einzige Tugend, die wirklich von Wert ist. Die, welche die blöden Pfaffen uns schmackhaft machen wollen, sind in Wahrheit bloß Schwächen. Stärke ist alles. Und ich bin stark.«
    »Du bist nur böse«, hielt Alan dagegen.
    Regy lächelte wieder. »Das ist wahr. Es ist das Böse, das mir meine Stärke verleiht. Die du nicht besitzt, weil du eben nicht böse bist.«
    »Tja. Das frage ich mich.«
    »Ich weiß. Darum kommst du wieder und wieder zu mir. Um dich selbst zu erkennen.« Er faltete die Hände auf der Brust – eine lästerliche Parodie eines gütigen Beichtvaters. »Und was genau kann ich heute für dich tun, mein Sohn?«
    Alan unterdrückte mit Mühe ein Grinsen. »Ich sage dir, wer ich bin und was hier vorgeht. Du sagst mir, was du denkst.«
    »Du willst meinen Rat ?«
    Alan hob langsam die Schultern. »Ich muss ihn ja nicht annehmen. Aber du bist der einzige Mensch, den ich kenne – den Losian kennt, meine ich –, der in der Welt Bescheid weiß, um die es hier geht. Wenn du mich belügst, weiß ich das.« Er ruckte den Daumen zur Decke. »Wenn sie mich belügen, lauf ich ins offene Messer, ohne es auch nur zu merken.«
    Regy dachte darüber nach. »Na schön«, sagte er schließlich. »Öffne mir dein Herz, mein Bester. Aber vorher reden wir über deine Gegenleistung.«
    Alan seufzte. »Sei doch vernünftig, Regy.«
    »Das kann ich nicht.«
    »Nein. Aber du weißt trotzdem ganz genau, dass ich dich nicht laufen lassen kann. Ich habe dich mit von der Insel genommen, also obliegt es mir, dafür zu sorgen, dass du keinen Schaden mehr anrichtest. Und das würdest du doch.«
    Regy nickte. »Ich rede ja auch nicht von Laufenlassen. Aber sperr mich irgendwo ein, wo Licht ist. Hol mich aus diesem Kellerloch. Und zwar noch heute.«
    Ich darf gar nicht daran denken, was King Edmund und die Zwillinge dazu sagen werden, dachte Alan unbehaglich, aber er antwortete. »Einverstanden.«
    Regy schloss einen Moment die Augen und ließ langsam den Atem entweichen. Seine Erleichterung ließ Alan das Ausmaß seines Schreckens ahnen. Dann öffnete Regy die Augen wieder, und der Dämon war zurück. »Also? Ich höre.«
    Und Alan erzählte.
    Er fand den Steward unten im Burghof in der Scheune. Guillaume hatte eine Schar Hilfskräfte organisiert – dem Aussehen nach Bauern. Die Frauen hockten auf dem festgestampften Fußboden im Kreis, banden mit geschickten Fingern Strohhalme zu Schindeln und plauderten angeregt, während die Männer auf Leitern standen und das Dach ausbesserten. Guillaume hatte sich unter den kahlen Balken und Sparren postiert, die Hände in die Hüften gestemmt, den Kopf in den Nacken gelegt und erteilte Anweisungen und Ratschläge. Von oben kamen Proteste und fachkundige Einwände. Es gab ein lebhaftes Hin und Her und viel Gelächter. Doch als Alan in die Scheune kam, wurde es beinah schlagartig still.
    Er verbarg sein Unbehagen hinter einem sparsamen Lächeln, nickte den Frauen zu und trat zu Guillaume. »Da bin ich. Wie versprochen.«
    Der Steward nickte. »Gut.« Und dann, nach oben gewandt: »Edwy, ich sehe den blauen Himmel durch deine Schindeln! Leg sie enger!«
    »Wird gemacht, Lord Guillaume, wird gemacht«, antwortete Edwy, ein drahtiger kleiner Mann mit einem gewaltigen blonden Schnurrbart. »Es ist ja nicht so, als hätt ich am Sonntag was Besseres zu tun, als Eure Scheune neu zu decken …«
    Guillaume hob die Hand zu einer Geste der Kapitulation. »Denk nicht, ich wüsste eure Hilfsbereitschaft nicht zu schätzen.«
    »Heute ist Sonntag?«, fragte Alan ungläubig.
    Guillaume sah ihn an und nickte.
    »Herrje. Ich war nicht in der Kirche.«
    »Wenn du willst, reiten wir hin. Die Messe ist natürlich vorbei, aber du könntest ein bisschen beten, wenn du möchtest. Und unterwegs kann ich dir berichten, wie es um uns steht.«
    »Das klingt nach einem vernünftigen Plan«, stimmte Alan zu. Was sonst hätte er sagen können? Er verspürte kein Interesse für diesen Ort,

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