Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Hiobs Brüder

Titel: Hiobs Brüder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rebecca Gablé
Vom Netzwerk:
stumm.
    »Ich denke, es war ein Versehen. Er war … ist ein hochanständiger Mann. Aber sie erwartete ein Kind. Wir hatten beschlossen, zusammen zu ihm zu gehen und es ihm zu sagen, aber aus irgendeinem Grund, den ich nie erfahren werde, hat sie allein mit ihm gesprochen. Und er … muss die Fassung verloren haben. Vor der Hochzeit schwanger, obendrein von einem Juden – es war eine Schande, die er nicht ertragen konnte. Kaufleute leben von ihrem guten Ruf. Und er wäre in seiner Stadt erledigt gewesen.«
    Alan sah ihn verständnislos an. »Wie könnt Ihr rechtfertigen, was er getan hat?«
    »Weil ich zwanzig Jahre Zeit hatte, darüber nachzudenken. Die Schuld lag bei mir, Alan. Ich habe dieses Mädchen ins Weinlager gelockt und verführt, weil ich wie alle jungen Männer ungeduldig war und nicht warten konnte. Aber ich habe es auch aus Berechnung getan. Ich glaubte, wenn sie schwanger wird, bleibt ihrem Vater gar nichts anderes übrig, als einer Heirat zuzustimmen. Das war ein Irrtum. Sie hat mir ihr Vertrauen geschenkt und mit dem Leben dafür bezahlt.«
    »Ihr seid … sehr hart zu Euch selbst.«
    »Ich habe nichts anderes verdient«, entgegnete Ruben. Er klang gelassen, aber Alan sah in den dunklen Augen, dass die Wunde auch nach zwanzig Jahren nicht verheilt war. »Ihr Vater verschenkte sein Hab und Gut, ging in ein Kloster und legte ein Schweigegelübde ab. Auch sein Leben habe ich meiner Selbstsucht geopfert.«
    » Er hat sie erschlagen, Ruben. Nicht Ihr.«
    Der jüdische Kaufmann nickte zustimmend und hob gleichzeitig die Schultern.
    Es war einen Moment still. Schließlich fragte Alan: »Und wusste Eure Familie von dieser Geschichte?«
    »Meine Eltern waren schon tot. Aber Josua wusste es natürlich. Und die jüdische Gemeinde in Winchester wusste es auch. Das war einer der Gründe, warum wir nach Norwich gegangen sind. Dann hat mein Bruder ungefähr zehn Jahre lang versucht, mich zu einer Ehe mit einem anständigen jüdischen Mädchen zu drängen, denn nach unserem Gesetz ist es eine schwere Sünde, nicht zu heiraten. Aber irgendwann hat er es aufgegeben, und jetzt habe ich meine Ruhe.« Er lehnte sich an die Wand und faltete die Hände auf dem fassrunden Bauch. Ein kleines Lächeln lugte aus dem lockigen grauen Bart. Ruben ben Isaac war kein unzufriedener, verbitterter Mann, im Gegenteil.
    »Ich beglückwünsche Euch zu Eurer Weisheit, die Euch gelehrt hat, ohne Gram zu sein, obwohl Ihr nicht haben konntet, was Ihr Euch ersehnt habt. Ich könnte das nicht.«
    »Und das bringt uns zu meiner Nichte?«
    Alan nickte. »Werdet Ihr uns helfen?«
    »Das tue ich praktisch ununterbrochen, seit Miriam mich ins Vertrauen gezogen hat. Ich habe so manchen Sturm väterlicher Entrüstung von Euch und auch von ihr abgewendet. Als mein Bruder erfuhr, dass Moses ihr den Schlüssel zum Kräuterlager besorgt hatte …« Er schüttelte den Kopf bei der Erinnerung.
    Alan war erschrocken. »Wie hat er das erfahren?«
    »Moses hat sich verplappert. Er ist schwatzhaft, so wie alle Männer in unserer Familie. Josua war außer sich, das kann ich Euch sagen. Es sah alles andere als rosig aus für Moses und für Miriam. Aber schließlich hat mein Bruder doch auf mich gehört. In Wahrheit hat es ihn ziemlich beeindruckt, dass Ihr nicht getan habt, wozu Ihr die Gelegenheit hattet. Im Gegensatz zu mir damals, versteht Ihr.«
    »Viel hat nicht gefehlt«, gestand Alan, ebenso freimütig wie verlegen.
    »Nun, das will ich hoffen, weil ich sonst Eure Mannbarkeit in Zweifel ziehen müsste«, gab Ruben trocken zurück. »Aber das ist nicht entscheidend. Ihr habt großen Anstand bewiesen, sodass meinem Bruder nichts anderes übrig bleibt, als zu glauben, dass Eure Absichten auf Miriam ehrbar sind. Das ist ihm gar nicht recht, glaubt mir.«
    »Wird er sie mir geben, Ruben?«
    Der ältere Mann betrachtete ihn mit einem rätselhaften, halb wohlwollenden, halb schadenfrohen Lächeln. »Nie und nimmer.«
    Wie verabredet besichtigten Alan und der jüdische Arzt das zum Verkauf stehende Anwesen am südlichen Stadtrand, und Josua schien seinen Groll völlig vergessen zu haben. Mit beinah kindlichem Enthusiasmus führte er Alan durch die Anlage und beschrieb ihm, welche Funktion die einzelnen Gebäudeteile erfüllen sollten. Er hatte alles genauestens durchdacht, erkannte Alan – beeindruckt, aber nicht überrascht.
    Ihr Rundgang endete im Garten, der ziemlich verwildert und von einem überdachten Säulengang umgeben war, fast wie der Kreuzgang eines

Weitere Kostenlose Bücher