Hiobs Brüder
Eurer Kirche verstoßen. Wie sagt man gleich wieder …«
»Exkommunizieren«, antwortete Alan.
Josua tippte ihm mit dem Finger an die Brust. »Wie wollt Ihr das ertragen? Ich weiß, dass Ihr ein frommer Mann seid.«
»Es wäre bitter, wenn es dazu kommt, aber ich bin bereit, es auf mich zu nehmen. Es wäre nicht das erste Mal, dass die Heilige Mutter Kirche mir die kalte Schulter zeigt.«
Josua warf verzweifelt die Arme in die Höhe. »Ihr seid bereit, es auf Euch zu nehmen? Ich glaube, Ihr wisst überhaupt nicht, was Ihr da redet. Ihr benehmt Euch wie ein verantwortungsloser junger Dummkopf, Alan, was ist nur in Euch gefahren?«
»Sie«, sagte Alan und nickte mit einem Lächeln zu Miriam.
Josua stöhnte. »Und habt Ihr auch nur einen einzigen Gedanken an die Kinder verschwendet, die ihr bekämet? Ihr wisst, dass diese Kinder Juden wären, oder?«
»Bei allem Respekt, Josua, aber das zu entscheiden liegt bei Miriam und mir.«
»Da seht Ihr, was für ein Narr Ihr seid! Es liegt nicht bei Euch oder Miriam oder mir, sondern bei Gott, der uns unser Gesetz gegeben hat. Und das besagt: Ist die Mutter Jüdin, sind die Kinder Juden. Die Zugehörigkeit zum jüdischen Volk wird von der Mutter vererbt, versteht Ihr?«
Alan war so fasziniert von der Fremdartigkeit dieses Gesetzes, dass er dessen Folgen für sich selbst und Miriam im ersten Moment gar nicht bedenken konnte. »Warum?«, fragte er erstaunt.
»Weil die Vaterschaft zweifelhaft sein kann, die Mutterschaft hingegen nie«, knurrte Josua.
Alan musste lachen. »Ihr Juden seid ein praktisches Volk. Euer angeblich göttliches Gesetz ist doch wahrhaftig aus dem Leben gegriffen.«
»Ihr glaubt, das sei komisch, ja? Aber was ist, wenn …«
Josua wurde unterbrochen, denn die Tür zum Inneren des Hauses wurde aufgerissen, und sein ältester Sohn David stürzte unter einem hebräischen Wortschwall herein.
Alan verstand natürlich kein Wort, aber er wusste, David brachte keine Freudenbotschaft. »Was ist geschehen?«, fragte er Josua. Aus dem Augenwinkel sah er, dass Miriam die Linke vor den Mund gepresst hatte.
Josua stand auf, eigentümlich langsam. »Eine Schar Handwerker und kleiner Kaufleute unter der Führung eines Priesters ist in das Haus unseres Freundes Jesse ben Abraham eingedrungen. Wir wissen nicht, wie es um ihn und die Seinen steht, aber diese Männer sind in sein Kontor eingebrochen und haben es verwüstet. Und jetzt sind sie unterwegs hierher.«
Einen Moment rührte sich niemand, als habe die Schreckensnachricht sich wie ein schweres Leichentuch auf sie alle herabgesenkt. Dann ließ Miriam die Hand vom Mund sinken und legte sie auf Alans Arm. Josua trat zum Wandbord und begann, Krüge beiseitezuschieben.
Alan dachte. Schnell, systematisch und vor allem kühl. In seinem Kopf entstand ein Plan dieses verwinkelten Hauses, als habe er mit einer Feder den Grundriss auf Pergament gezeichnet, und er wusste sofort, wo die Schwachstellen waren und wo er sich postieren musste. So als wäre Josuas Haus eine Burg unter Belagerung.
»Wie viele?«, fragte er David und stand auf. Miriams Hand glitt von seinem Arm.
»Der Nachbarssohn, der die Nachricht brachte, wusste es nicht genau. Drei Dutzend, schätzt er.« Josuas Sohn sprach ruhig, aber der Adamsapfel in seinem mageren Hals glitt auf und ab, während er erfolglos zu schlucken versuchte.
Alan wandte sich an Josua, der inzwischen ein Schwert in einer dunklen, fleckigen Scheide an einem rissigen Gurt hinter seinen Medizinflaschen hervorgekramt hatte. »Was soll das sein?«, fragte Alan ungläubig. »Ein Relikt aus Samsons Krieg gegen die Philister?«
Josuas Miene war grimmig. »Es ist alt, aber bewährt. Ich lasse mir nicht kampflos das Dach über dem Kopf abreißen.«
»Nein, das sollt Ihr auch nicht.« Alan lockerte die eigene Klinge in der Scheide. »Aber erweist mir die Ehre, Euer Haus verteidigen zu dürfen, und bringt Eure Familie auf die Burg.«
»Wir werden nicht davonlaufen«, widersprach David wütend. »Ich kann ebenso gut eine Waffe führen wie jeder Normanne, wie jeder Angelsachse erst recht!«
Alan rang um Geduld und rief sich ins Gedächtnis, dass David erst siebzehn Jahre alt war. Verheiratet, bald Vater, aber nicht viel älter als Simon. Er legte ihm die Hände auf die Schultern. »Daran zweifle ich nicht. Aber wie sollen Juden und Christen in Norwich je wieder in Frieden zusammenleben, wenn ihr euch heute Nacht gegenseitig erschlagt, nur weil der Bischof deinem Onkel die Zinsen nicht
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