Hiobs Brüder
die Tür, als Alan sich gerade wieder aufrichtete. »Ich kann mir nicht helfen, aber ich glaube, er wird Euch so bald nicht in seine Gebete einschließen«, bemerkte Letzterer.
Ruben schien nicht überrascht, ihn zu sehen. Mit einem müden Lächeln antwortete er: »Ich schätze, er ist ohnehin zu beschäftigt und viel zu wichtig, um für das Seelenheil seiner Mitmenschen zu beten.«
»Wer ist er?«
»Der Subprior der Abtei und Spross eines sehr vornehmen französischen Adelsgeschlechts.« Ruben hob die Hände zu einer Geste, die Ergebenheit ebenso wie Nachsicht ausdrückte. »Josua ist noch bei seinen Kranken, fürchte ich.«
»Ich wollte zu Euch.«
»Dann tretet ein und trinkt einen Becher mit mir. Ich brauche immer eine Stärkung, wenn Vater Anselm mich beehrt hat.«
Alan folgte ihm in sein Kontor, wo das gleiche Durcheinander herrschte wie beim letzten Mal: hier ein paar Gewürzsäcke, dort ein unordentlicher Stapel Tuchballen auf einer Truhe, eine Fidel und eine Laute hingen nicht ganz gerade an der Wand und wirkten angestaubt, auf dem ausladenden Tisch eine kleine Waage, Schriftstücke und Tintenhorn.
Ruben fegte ein paar Pergamentbogen achtlos beiseite, um Platz für die Becher zu schaffen, und schenkte ein. »Auf Euer Wohl, Alan of Helmsby. Möge die Zukunft Euch säumige Zahler ersparen.«
Alan hob ihm den Becher entgegen und trank versonnen einen Schluck. »Ich wusste gar nicht, dass Ihr Geld verleiht.«
Ruben nickte und nahm einen tiefen Zug. »Mein Bruder hat es Euch verschwiegen, damit Ihr nicht schlecht von mir denkt, nehme ich an.«
»Er sagte, Ihr seiet Kaufmann.« Er wies auf die verstreuten Waren. »Und das seid Ihr ja auch.«
»Hm. Ich importiere Gewürze und edle Tuche aus dem Osten und beliefere Gewürz- und Tuchhändler von hier bis York. Aber ein Geschäft eröffnen und meine Waren an zahlungskräftige Edelleute verkaufen darf ich in diesem Land nicht. Darum investiere ich einen Teil meines Profits im Geldverleih. Es ist – neben der Medizin − so ungefähr das einzige Geschäft, das Juden in England betreiben dürfen. Aber denkt nicht, ich wolle mich beklagen. Es ist einträglich und macht vergleichsweise wenig Arbeit. Man muss auch nicht ans Ende der Welt dafür reisen – ein enormer Vorteil für mich, denn ich bin bequem und kein Wanderer. Aber manche Christen finden es eben anstößig. Vor allem die, die ihre Zahlungsziele nicht einhalten können.«
»Nun, wenn selbst der ehrwürdige Bischof sich Geld von Euch leiht, kann es nicht so anstößig sein, wie man uns immer glauben macht.«
Ruben verzog das Gesicht zu einer Grimasse, die halb schmerzlich, halb komisch war. »Er glaubt, Gott drückt ein Auge zu, weil er das Geld für den Kathedralenbau eingesetzt hat.«
Alan hob kurz die Schultern. »Hoffen wir, dass er recht hat.«
Sie sahen sich an und lachten. Es war ein unbeschwerter Moment, und doch lag ein Ausdruck von Wachsamkeit in Rubens Augen.
»Was führt Euch zu mir?«, fragte er schließlich.
Alan schlug die Beine übereinander und betrachtete den älteren Mann mit zur Seite geneigtem Kopf. »Eine Frage«, antwortete er.
»Und zwar?«
»Warum seid Ihr nicht verheiratet?«
Das schien das Letzte zu sein, womit Ruben gerechnet hatte, und beinah verschluckte er sich vor Schreck. »Wieso wollt Ihr das wissen?«
»Das sage ich Euch, wenn Ihr geantwortet habt.«
»Was bringt Euch auf den Gedanken, dass ich nicht verwitwet bin? Das sind schließlich viele Männer in meinem Alter. Mein Bruder etwa.«
Alan schüttelte den Kopf. »Ich wäre bereit, diesen kostbaren Gaul dort draußen darauf zu verwetten, dass Ihr ein eingefleischter Junggeselle seid.«
Unwillkürlich schaute Ruben zum Fenster, obwohl Conan von hier aus gar nicht zu sehen war. Dann atmete er tief durch und sah Alan wieder an. »Ihr habt recht. Auch mit dem Verdacht, der sich hinter Eurer Frage verbirgt. Die Frau, die ich wollte und nicht haben konnte, war die Tochter eines normannischen Weinhändlers aus Winchester. Ein hinreißendes Mädchen …« Sein Lächeln war voller Nostalgie, aber auch voller Traurigkeit.
Er hat sein Leben lang bereut, dass er es nicht gewagt hat, erkannte Alan. Das machte ihm Mut für den Weg, den er selbst gewählt hatte. »Eure Eltern haben es nicht zugelassen?«, fragte er behutsam.
»So kann man es auch ausdrücken.« Ruben stützte die Ellbogen auf den Tisch und lehnte sich ein wenig vor. »Ihr Vater hat sie totgeschlagen.«
Alan wandte den Kopf ab und bekreuzigte sich
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