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Hiobs Brüder

Titel: Hiobs Brüder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rebecca Gablé
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geschlossenen Augen das Gesicht entgegen. Alan presste die Lippen auf ihre und konnte ein leises Stöhnen nicht unterdrücken. Jedes Mal, wenn er sie hielt, fragte er sich, wie er all die Tage ohne sie überstanden hatte. »Miriam …«
    Sie strich mit der Hand über seine unrasierte Wange, dann schob sie ihn ein kleines Stück von sich. »Bekomme ich eine Antwort?«
    »Worauf?«
    »Die Dame mit dem Kind. Auf dem Wandbild dort draußen.«
    »Wir nennen sie die Mutter Gottes.«
    »Wie kann Gott eine Mutter haben? Er ist der Erste und der Letzte , lehrt man uns.«
    »Und so ist es ja auch. Aber wir glauben, dass Gott in Jesus Christus Mensch geworden ist. Und sie hat ihn geboren. Ihr Name ist Maria.«
    »Das ist Miriam in unserer Sprache.«
    Er drückte die Lippen auf den schwarzen Haaransatz, der in der Stirn unter dem Tuch hervorschaute. »Ich weiß. Wie in aller Welt kommst du hierher?«
    »Ich wollte einen eurer Gottesdienste sehen. Mein Vater glaubt, ich bringe Moses zur Schule. Moses glaubt, ich helfe Esther mit der Wäsche. Esther glaubt, ich bin bei Onkel Ruben im Kontor. Und so weiter.« Sie sagte es leichthin, aber er erkannte etwas unverkennbar Schelmisches in ihren Augen, um nicht zu sagen, etwas Durchtriebenes.
    »Und warum wolltest du einen unserer Gottesdienste sehen?« Ein Glück nur, dass niemand in der Kirche erkannt hatte, was sie war.
    »Weil ich hoffte, dich hier zu finden, aber auch, weil ich neugierig war, was ihr dabei macht.«
    »Neugier scheint weit verbreitet in deiner Familie.«
    »Würdest du sie Wissensdurst nennen, könnte ich dir möglicherweise recht geben.«
    Er lachte und zog sie wieder an sich. Er fühlte sich fast trunken vor Seligkeit, ihr hier so unverhofft begegnet zu sein.
    »Was geschieht bei euren Gottesdiensten?«, fragte sie beharrlich weiter. »Warum steht Euer Rabbiner mit dem Rücken zu seiner Gemeinde? Was hat es mit dem Brot und dem Wein auf sich?«
    »Warum willst du das wissen?«, konterte er.
    »Um zu entscheiden, ob dein Glaube dumm und eitel und frevlerisch ist, wie mein Vater sagt.«
    Alan spürte Zorn aufsteigen, aber er schärfte sich ein, sich das ja nicht anmerken zu lassen. Er führte Miriam zu einem schmalen Sims in der Mauer, fegte mit der Hand den Staub herunter und lud sie mit einer Geste ein, Platz zu nehmen. Verstohlen ergötzte er sich an der Grazie, mit welcher sie das tat. Dann stellte er einen Stiefel neben ihr auf den Vorsprung und verschränkte die Arme auf dem Oberschenkel. »Ich bin nicht der Richtige, um dir diese Dinge zu erklären, denn ich bin kein Gelehrter, und oft war ich Gott fern in letzter Zeit. Ihr glaubt, Gott habe einen Bund mit dem Volk Israel geschlossen und es auserwählt und ihm einen Erlöser versprochen, richtig?«
    »Ja.«
    Er nickte knapp. »Wir glauben, dieser Erlöser ist bereits gekommen. Sein Name ist Jesus Christus, und er ist Gottes Sohn.«
    »Also habt ihr mehr als einen Gott?« Ihre Miene verriet Befremden und einen Hauch von Überheblichkeit, argwöhnte er.
    »Unsinn«, gab er unwirsch zurück. »Sie sind eins, Gott Vater und Sohn.« Er beschloss, den Heiligen Geist und die Dreifaltigkeit, die sein eigenes Begriffsvermögen überstieg, vorerst lieber aus dem Spiel zu lassen. »Wir glauben, Jesus Christus hat einen neuen Bund mit den Menschen geschlossen. Er hat alle Sünden und alles Leid der Welt auf sich genommen und ist für uns am Kreuz gestorben. Nach drei Tagen ist er wiederauferstanden. Er hat den Tod besiegt und ist zum Himmel aufgefahren. Wir nennen ihn den Erlöser, denn jeder, der an ihn glaubt und seinem Wort folgt, darf ins Paradies.«
    »Und wer nicht an ihn glaubt und seinem Wort nicht folgt, kommt in die Hölle?«
    Er sah sie einen Moment ernst an. Schließlich antwortete er: »So hat man mich gelehrt. Aber seit ich euch begegnet bin, habe ich Mühe, es zu glauben. Die Mönche in St. Pancras – Gottes Diener auf Erden – haben mich und meine Freunde eingesperrt und fast verhungern lassen. Dein Vater hat uns in sein Haus aufgenommen und alles für uns getan, was er konnte.« Er schüttelte den Kopf. »Ich glaube nicht, dass es so einfach ist, wie man uns immer weismachen will.«
    »Das heißt, wenn wir heiraten, würdest du nicht von mir verlangen, dass ich deinen Glauben annehme?«
    »Nein.« Es hätte viele Dinge leichter gemacht, wenn sie sich dazu entschlösse, aber er würde ihr keine Bedingungen stellen. Er nahm ihre Hand, drückte die raue Innenfläche einen Moment an die Lippen und ließ sie

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