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Hiobs Brüder

Titel: Hiobs Brüder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rebecca Gablé
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Katastrophe geben. Aber darüber zu streiten war später noch Zeit genug. Jetzt galt es erst einmal, dafür zu sorgen, dass alle etwas zu essen bekamen.
    In Ermangelung des sonst üblichen, aufrechten Holzgestells hielten die Zwillinge das junge Reh an den Vorderläufen hoch, während Losian es ausnahm und häutete. Er hatte es ausgeblutet, sobald er das Messer gefunden hatte. Die nicht verwertbaren Eingeweide legte er in Wulfrics und Godrics Weidenfangkorb, denn sie wollten am folgenden Tag probieren, sie als Köder zu benutzen. Dann machte Losian sich daran, das erlegte Tier systematisch zu zerlegen.
    »Du weißt, was du da tust«, bemerkte Godric irgendwann.
    Losian nickte. »Ja. Anscheinend mache ich das heute nicht zum ersten Mal. Wo ist Edmund mit seinem Feuer?«
    Godric ruckte das Kinn zur Motte hinauf. »Da oben.«
    Losian sah in die Richtung und sagte nichts.
    »Es geht nicht anders, das musst du doch einsehen«, sagte Wulfric, und es klang ein wenig nervös, so als fürchte er, Losian werde widersprechen. »Der Turm ist eine Ruine, na schön, aber er ist besser als alles, was wir hier unten haben, nämlich gar nichts. Und er hat einen Kamin.«
    »Was du nicht sagst«, murmelte Losian verdrossen.
    »Wir brauchen Schutz vor dem Wetter«, fuhr der junge Mann fort. »Verdammt, ich habe auch kein Bedürfnis, mit Regy unter einem Dach … oder genauer gesagt, unter keinem Dach zusammenzuleben, aber im Moment ist der Turm alles, was wir haben.«
    »Streckt die Hände aus«, bekam er zur Antwort.
    »Was?«, fragte Wulfric verdattert.
    Losian vollführte eine ungeduldige, auffordernde Geste, und als die Zwillinge ihm daraufhin die Arme entgegenstreckten, stapelte er rohe Fleischbatzen auf ihre Hände. »Schafft es nach oben und fangt an zu braten. Wenn ihr mir ein Stück bringt, das nicht verkohlt ist, könnte ich mich eventuell entschließen, euch Haar und Bärte zu stutzen.«
    Grinsend zogen die Zwillinge mit der Beute hügelauf.
    Losian ging gemächlich zur Einfriedung, durch die Bresche und zum Ufer hinab, wo bis gestern noch der kleine Kai gelegen hatte. Er kniete sich in den körnigen Sand und wusch sich die Hände in der Brandung. Dicke, bleigraue Wolken türmten sich am Himmel und versprachen neuen Regen für die Nacht, aber die See war ruhig. Losian blickte zum Festland hinüber, das in der Dämmerung gerade noch auszumachen war. Geisterhaft leuchtete die Kirche von St. Pancras im Zwielicht, aber sie war nur ein heller Fleck, einzelne Konturen oder der stämmige Kirchturm waren nicht auszumachen.
    Wie es den Brüdern dort drüben wohl ergangen war in der Sturmnacht? Gewiss waren sie ungeschoren davongekommen, denn zumindest ihre Kirche war solide genug gebaut, um Schutz vor jedem Wetter zu bieten. Hatten sie sich gefürchtet? Hatten sie sich so wie er gefragt, ob Gott die Flut geschickt hatte, um sie vom Angesicht der Erde zu tilgen, weil er ihrer überdrüssig war? Er stellte sie sich vor, schlotternd vor Angst und Kälte zusammengedrängt in ihrem düsteren Gotteshaus. Der kühle, berechnende Abt mit dem roten Haarkranz rund um die Tonsur. Der alte, fanatische Beter mit den Haarbüscheln in der Nase. Und der kräftige junge Bruder mit den grausamen Augen, dessen Namen er nie erfahren hatte und dessen Spezialität es war, den Besessenen die Dämonen mit Rutenschlägen auszutreiben.
    Mit einem Mal verspürte Losian ein unbezähmbares Bedürfnis, diese drei Männer wiederzusehen, und er merkte gar nicht, dass seine Rechte sich bei dem Gedanken um den abgegriffenen Messerschaft an seiner Hüfte schloss.
    »Angenommen, wir täten es«, sagte King Edmund. »Nur mal angenommen. Wo sollen wir hingehen? Wovon sollen wir leben?«
    »Das fragst ausgerechnet du?«, gab Simon spöttisch zurück. »Mit einem Heiligen in unserer Mitte können wir uns doch wohl darauf verlassen, dass Gott für uns sorgen wird, oder?«
    »Na ja, auch wieder wahr«, räumte King Edmund ein.
    Losian legte hastig die Hand vor den Mund und strich sich mit den Fingern über die Wange, als gälte es, dort eine Mücke zu vertreiben, und Godric verschluckte sich.
    »Es sind nur zwei Tage von hier nach Gilham, wo wir zu Hause sind«, sagte sein Bruder. »Dort könnten wir erst einmal hin. Falls unser Vater noch lebt, wird er dafür sorgen, dass ihr euch nicht ohne Schuhe und Proviant auf den Heimweg machen müsst.«
    Simon war der Einzige, der seine Stiefel noch besaß, weil er sich angewöhnt hatte, darin zu schlafen. Alle anderen mussten Nässe

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