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Hiobs Brüder

Titel: Hiobs Brüder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rebecca Gablé
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wachsam um. Er wusste, seine Chancen standen schlecht, aber wie er zu Simon gesagt hatte: Es war jämmerlich, zu verzagen, ehe man sein Glück nicht wenigstens versucht hatte.
    Und tatsächlich wurden seine Mühen belohnt. Der Sturm hatte Äste abgerissen und sogar einige Bäume entwurzelt. Einer hatte im Sturz eine junge Ricke erwischt, die mit zerschmetterten Hinterläufen und rettungslos im Geflecht der Krone verfangen auf der Erde lag. Mit starren Augen blickte sie zu Losian auf, als er sich vor sie hockte, und er sah, wie ihr Brustkorb sich in Panik hob und senkte. Er wusste, dass die Hand und die Stimme eines Menschen ein Reh nicht beruhigen konnten, also verschwendete er keine Zeit. Er hob die Faust mit dem Stein, ließ sie niederfahren und beobachtete mit distanziertem Interesse, dass er den Schlag genau wie den vorhin führte, mit einer Bewegung, die in der Hüfte begann und den Schwung seiner ganzen Körperkraft in seine Hand fließen ließ. Der Hieb zertrümmerte die Schädeldecke, und die Ricke war auf der Stelle tot.
    Die anderen waren fleißig gewesen, stellte Simon fest, als er zur Burg zurückkam. Sie hatten die umgestürzten Palisaden, die das Meer nicht mitgenommen hatte, aus der Bresche geräumt und auf der Innenseite der Einfriedung aufgestapelt. Nun musste man nicht mehr über zersplitterte Pfähle und sonstige Trümmer klettern, um die Burg zu betreten oder zu verlassen. Oswald las im Hof kleinere Holzstücke auf und warf sie auf einen Haufen, der vermutlich als Brennholz dienen sollte, falls er dazu je wieder trocken genug würde. Luke und King Edmund legten letzte Hand an eine eigentümliche, aber geniale Konstruktion: Sie hatten die beiden größten Bretter, die sie finden konnten, zu einer Art Dach zusammengefügt, das nun verkehrt herum, mit der Öffnung nach oben und in Schräglage am Palisadenzaun lehnte. Unter das tiefere Ende hatten sie den schweren gusseisernen Kessel gestellt, in dem sie die Grütze kochten. So kam es, dass der Regen, der auf die Flächen der Bretter fiel, zur Mitte und schließlich in den Kessel rann.
    »Verdursten werden wir also nicht«, hörte Simon Godric hinter seiner rechten Schulter sagen.
    Er wandte den Kopf. »Jedenfalls nicht heute. Und? Habt ihr schon was gefangen?«
    Die Zwillinge schüttelten niedergeschlagen die Köpfe. Wulfric wies auf die Palisade. »Da draußen haben wir ein Dickicht aus jungen Weiden gefunden. Wir haben Zweige abgerissen und ein kleines Netz daraus geflochten. Damit haben wir im Flachwasser unser Glück versucht, aber bislang ohne Erfolg.«
    Simon horchte auf. »Weiden? Wie viele?«
    Godric hob die Schultern. »Ein Dutzend vielleicht. Wieso?«
    »Wir müssen ein Floß bauen. Und vielleicht können wir die Stämme mit Weidenzweigen zusammenbinden«, erklärte Simon eifrig.
    Die Zwillinge tauschten einen Blick und antworteten nicht sofort. Schließlich sagte Godric: »Wenn du auf halber Strecke feststellst, dass es nicht hält, sitzt du mächtig in der Scheiße.«
    »Ja, und wenn wir hier herumlungern und die Hände in den Schoß legen, bis die heiligen Brüder mit einer bewaffneten Eskorte und einem Bautrupp kommen, um den Zaun zu reparieren, dann sitzen wir erst recht in der Scheiße!«, gab Simon wütend zurück. »Was ist nur los mit euch allen? Wie könnt ihr nur zögern, wo der Weg in die Freiheit doch praktisch zu euren Füßen liegt?« Er breitete verständnislos die Arme aus. »Habt ihr euch alle so an euren Käfig gewöhnt, dass ihr gar nicht mehr hinauswollt?«
    »Immer mit der Ruhe, Simon.« Wulfric hob beschwichtigend die Hände. »Natürlich wollen wir von hier weg. Aber du darfst die See nicht unterschätzen. Letzte Nacht hat sie uns doch gezeigt, wie hungrig sie ist. Und wie stark.«
    »Lasst uns erst mal hören, was Losian dazu sagt«, schlug sein Bruder vor.
    »Oh, natürlich. Der weise Losian«, höhnte Simon. »Das könnt ihr euch sparen. Er sagt das Gleiche wie ihr. Vögel mit gestutzten Flügeln seid ihr, allesamt! Ich kann euch einfach nicht verstehen.«
    »Nein?«, fragte Godric ernst. »Vielleicht liegt es daran, dass dein Gebrechen nicht so augenfällig ist und du außerdem der Sohn eines normannischen Lords bist. Ich schätze, du bist nicht so besonders oft angeglotzt und mit Steinen beworfen oder eine Missgeburt genannt worden.«
    »Angeglotzt und eine Missgeburt genannt worden, doch, gelegentlich. Wenn der richtige Moment kam«, entgegnete Simon scheinbar leichthin. Er machte einen halben Schritt auf die

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