Hiobs Brüder
zum Mund inne und sah ihn mit großen Augen an. »Was hab ich gemacht?«, fragte er schuldbewusst.
»Du bist umgekippt. Es ging dir ganz schön dreckig.«
Oswald grübelte einen Moment und nickte dann. »Ich weiß wieder. Losian hat mich getragen. Und ein schwarzer Mann hat mir was zu trinken gegeben.«
»So war’s. Wir sind immer noch in seinem Haus. Er nimmt uns für ein paar Tage hier auf, stell dir das vor. Und das, obwohl …« Simon brach ab und hob den Kopf. »Hast du was gehört?«
Oswald schüttelte den Kopf. Aber Simon war früher schon aufgefallen, dass Oswald ziemlich schlecht hörte. Da war es wieder. Ein dumpfes Poltern.
Simon wusste plötzlich genau, woher es rührte, und der Schreck fuhr ihm in die Glieder. Wie gestochen sprang er von der Bettkante auf. »Rühr dich nicht vom Fleck, Oswald. Bin gleich zurück.«
Ehe Oswald protestieren konnte, war Simon hinausgestürzt, den Flur entlanggerannt und kam vor der Tür des Tuchlagers an. Er riss sie auf und verharrte einen Moment, als hätte Gott ihn in eine Salzsäule verwandelt.
Losian und Regy rollten in enger Umklammerung über den Boden, beide keuchten. Verschütteter Eintopf und Blut besudelten die so penibel gefegten Holzdielen. Simon konnte nicht ausmachen, wessen Blut es war, aber er brauchte nicht lange zu rätseln.
»Was glaubst du, wie lange es dauert, Losian?«, fragte Regy, und das diebische Vergnügen in seiner Stimme war unüberhörbar. »Du blutest aus. Ziemlich schnell.«
»Aber noch ist es nicht so weit«, erwiderte Losian grimmig, bäumte sich plötzlich auf und schleuderte Regy herum, sodass er oben zu liegen kam. Er versuchte, sich aufzurichten und Regys Oberarme unter seinen Knien einzuzwängen, aber sein Gegner befreite seinen rechten Arm mit einem Ruck, schmetterte Losian die Faust erst ins Gesicht und dann in den oberen Bauch, die Stelle, von der all das Blut zu kommen schien. Losian bleckte die Zähne – ein grausiger Anblick in dem blutüberströmten Gesicht −, aber Simon konnte sehen, dass seine Kräfte schwanden. Dieses Mal war Regy derjenige, der sich herumschleuderte und auf seinem Gegner zu liegen kam, und dann senkte er den Kopf.
Im ersten Moment begriff Simon nicht, was er vorhatte. Als die Erkenntnis ihn durchzuckte, war das Entsetzen so groß, dass seine Starre sich endlich löste. All seine Instinkte wollten ihn verleiten, sich abzuwenden und zu fliehen. Stattdessen schlich er auf die Kämpfenden zu. Das Blut rauschte ihm in den Ohren, und bei dem Gedanken, was ihm blühte, wenn Regy ihn zu früh bemerkte, verkrampften sich seine Eingeweide. Aber er zögerte nicht. Behutsam, ganz behutsam hob er das lose Ende der schweren Kette auf, nahm seinen ganzen Mut zusammen und zog Regy eins über den Schädel.
Für einen Moment erschlaffte der eben noch so angespannte Körper, und Simon nutzte diesen Augenblick der Benommenheit, um Regy die Kette um den Hals zu schlingen, ihm einen Stiefel ins Kreuz zu drücken und zuzuziehen.
Regy wurde nach hinten gerissen, stieß ein ganz und gar unmenschliches Heulen aus und fing an, sich zu wehren.
Simon wusste, er hatte keine Chance gegen ihn. Nicht nur King Edmund glaubte, dass Regys Bärenkräfte unnatürlich seien und ihm von seinem dunklen Meister verliehen worden waren. Doch ehe Simon in Nöte geriet, kam Losian auf die Füße – nicht so schnell und mühelos wie sonst – und eilte ihm zu Hilfe. Sie zogen die Kette so fest, dass Regy keine Luft mehr für sein Wutgeheul bekam und zu röcheln begann.
»Los, geben wir ihm den Rest«, stieß Simon hervor, packte fester zu und zog mit Macht.
Losian schüttelte wortlos den Kopf, legte ihm die Hand auf den Arm, um ihm zu bedeuten, seinen Zug zu lockern, nahm dann das lose Ende der Kette auf und befestigte es mit dem Schloss an dem Balken, der die Decke des Tuchlagers trug.
»Verflucht noch mal, Losian, er wollte dir die Kehle durchbeißen!«, protestierte Simon. Er war vollkommen außer sich. »Er ist eine Bestie. Kein Umgang für anständige Menschen, genau wie King Edmund immer gesagt hat.«
Losian nahm seinen Arm und zog ihn bis zur Tür, wo sie außerhalb der Reichweite der Kette waren. Regy, der reglos am Boden gelegen hatte, seit das Schloss eingerastet war, und vermutlich den Anschein erwecken wollte, er sei bewusstlos, rührte sich mit einem Mal. Langsam stemmte er sich in die Höhe, hustete, wickelte die Kette von seinem Hals und fuhr sich mit der Linken über die Stelle oberhalb des Halseisens, wo die
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