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Hiobs Brüder

Titel: Hiobs Brüder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rebecca Gablé
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so fremdartig erschienen. Das vertraute Beisammensein der Familie am Ende des Tages, die tüchtige Tochter am Herd, Vater und Sohn am Tisch bei einem frommen Gespräch – all das erschien Simon völlig normal.
    Die Tochter hatte ihm schließlich ein schweres Tablett mit einem Eintopf aus Hering und Zwiebeln, Brot und einem Krug Wein überreicht. Es war einfache, aber schmackhafte Kost und vor allem reichlich.
    »Wie kommst du auf die Idee, das Essen könnte unrein sein?«, fragte Simon King Edmund. »Diese Menschen sind geradezu lächerlich reinlich. Und sie haben Speisegesetze, die viel strenger sind als unsere Fastenregeln.«
    »Woher weißt du das?«, fragte Wulfric verblüfft.
    »Mein Vater hat’s mir erzählt«, antwortete Simon. »Er hatte häufiger mit den Juden in Lincoln zu tun. Hat für den König Geld bei ihnen geborgt, glaube ich. Jedenfalls sagte er, sie dürften so gut wie gar nichts essen: kein Schweinefleisch, keine Schalentiere und niemals Fleisch und Milch zur gleichen Zeit. Und die Tiere, die sie essen, müssen auch noch auf irgendeine besondere Weise geschlachtet werden …«
    »Ihr Essen ist unrein, weil das Blut Jesu Christi an ihren Händen klebt«, unterbrach King Edmund barsch. »Und ihr alle solltet euch schämen, so leicht schwach zu werden und ihre Gaben anzunehmen. Ich kann nur beten, dass sie eurem Leib und eurer Seele keinen allzu großen Schaden zufügen.«
    »Das ist genug«, bekundete Losian, und Simon sah in seinen Augen, dass er wütend war. »Josua ben Isaac hat uns große Freundlichkeit und Gastfreundschaft erwiesen. Wenn du sein Essen nicht willst, bitte. Aber wenn du nicht anders als hasserfüllt und missgünstig über diesen Mann reden kannst, dann schlage ich vor, du hältst den Mund.«
    King Edmund war erwartungsgemäß entrüstet. »Sag mal, wie redest du eigentlich mit mir? Ich bin Gottes Auserwählter! Und ich werde wohl noch meiner Pflicht nachkommen und euch vor der Gefährlichkeit dieser Leute warnen dürfen!«
    Losian stieß verächtlich die Luft aus, füllte zwei Schalen mit Eintopf, griff nach zwei sauberen Löffeln und stand auf.
    »Wo willst du denn hin?«, fragte Simon.
    »Regy füttern«, bekam er zur Antwort. »Und Oswald. Er ist schon viel zu lange allein. Wenn er aufwacht und niemand ist bei ihm …«
    Er hat recht, musste Simon einräumen. Unter Gewissensbissen gestand er sich ein, dass er den armen Oswald vor lauter Glückseligkeit über das Essen und das ungewohnte Dach über dem Kopf vorübergehend vergessen hatte. Er stand auf und streckte die Hand aus. »Ich übernehme Oswald.«
    Losian hob die Brauen und gab ihm eine der Schalen mitsamt Löffel. »Auf einmal so hilfsbereit?«
    »Immer dann, wenn du mich nicht scheuchst«, brummte der Junge.
    Losian verzog einen Mundwinkel zu einem müden Lächeln, sagte aber nichts. Zusammen verließen sie die Kammer im Obergeschoss und gingen die Treppe hinab.
    Oswald lag immer noch auf der Bettstatt neben dem kleinen Herd und schlief. Ein Talglicht brannte auf einem nahen Tisch, und in seinem Schein kam es Simon so vor, als habe Oswalds Gesichtsfarbe die kränkliche Blässe verloren.
    Er bewegte sich so geräuschlos wie möglich, doch es dauerte nicht lange, bis seine Anwesenheit den Schläfer weckte.
    »Losian?«, fragte Oswald blinzelnd.
    Simon legte ihm behutsam die Hand auf die Schulter. »Er ist hier, in diesem Haus. Wie alle anderen. Wie fühlst du dich?«
    Oswald setzte sich auf und rieb sich die Augen. Die Frage schien ihn zu überfordern, denn er antwortete nicht. »Ich hab Hunger«, sagte er stattdessen.
    »Hier.« Simon streckte ihm die Schale entgegen. »Es schmeckt großartig.«
    Oswald war nicht wählerisch. Simon war erleichtert zu sehen, wie emsig der kranke junge Mann zu löffeln begann. »Wie es aussieht, kriegen wir dich noch mal durch, was?«
    Oswald schenkte ihm zwischen zwei Löffeln sein strahlendes Lächeln. »Lecker«, befand er.
    Simon nickte und fragte sich, wann genau es eigentlich geschehen war, dass er Oswald ins Herz geschlossen hatte. Er erinnerte sich, in den ersten Wochen auf der Insel hatte er sich von dem merkwürdigen Pfannkuchengesicht und der schleppenden Sprechweise abgestoßen gefühlt. Oswalds schiere Existenz hatte ihn mit Verachtung und Wut erfüllt. Jetzt konnte er sich überhaupt nicht mehr vorstellen, warum das wohl der Fall gewesen war.
    »Du hast uns einen ganz schönen Schreck eingejagt heute Nachmittag«, bemerkte er.
    Oswald hielt mit dem Löffel auf halbem Weg

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