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Hiobs Brüder

Titel: Hiobs Brüder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rebecca Gablé
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ist hier der Arzt, Ihr oder ich?«
    Losian schwieg demütig. Aber er wusste, dass er recht hatte. Es war wieder so etwas Merkwürdiges geschehen, als Regy ihn in der Dunkelheit anfiel. Losian war vollkommen überrumpelt gewesen, und lange bevor er begriffen hatte, was passierte, hatte Regy ihn schon angegriffen. Aber Losians Körper war wieder einmal schneller gewesen als sein Verstand. Genau in dem Augenblick, als die Klinge in sein Fleisch drang, hatte er sein Gewicht nach hinten verlagert, den Bauch eingezogen – irgendetwas. Er wusste nicht mehr genau, was. Jedenfalls war der Stoß nicht tödlich gewesen, wie Regy zweifellos beabsichtigt hatte, sondern abgerutscht, und daher eher breit als tief.
    Josua zog ihm auch das Hemd aus und warf es achtlos zu dem Bliaut auf den Boden. »Stützt die Ellbogen hinter Euch auf den Tisch und lehnt Euch zurück, damit ich mir die Sache anschauen kann.« Aus einer nahen Truhe holte er reines Leinen und tupfte das Blut ab. »Hm«, brummte er schließlich. »Nicht tief, Ihr habt recht. Aber ziemlich hässlich. Ich muss es nähen, wenn Ihr nicht verbluten wollt. Wie ich an zweien Eurer Narben sehe, kennt Ihr das bereits.«
    »Da wisst Ihr mehr als ich«, murmelte Losian. Es klang eigenartig, fand er. So als wäre er betrunken.
    »Wie bitte?«, fragte der Arzt stirnrunzelnd.
    »Morgen werden wir Euer Haus verlassen, Josua. Es ist viel zu gefährlich, eine Kreatur wie ihn unter einem Dach mit Eurer Tochter und Eurem Sohn … Ich dachte, ich könnte ihn handhaben, aber …«
    »Ich glaube, Ihr geht so bald nirgendwohin, mein normannischer Freund«, unterbrach Josua.
    »Das werden wir ja sehen«, gab Losian rebellisch zurück, ehe um ihn herum Schwärze aufstieg und er ihr dankbar entgegensank.
    Er träumte wieder von seinem Ritt durch die Wüste. Die flimmernde Hitze, der Staub, der Durst, alles war wie immer. Doch in diesem Traum trank er nicht das Blut seines sterbenden Pferdes, sondern sein eigenes. Er zückte seinen Dolch, schlitzte sich den Bauch gleich unterhalb der Rippen auf, hielt einen leeren Lederschlauch unter die Wunde und fing sein Blut auf, um den Schlauch schließlich an die Lippen zu setzen. Und wie bei jedem Mal zuvor erschien ihm der König von Jerusalem in seiner goldenen Maske: »Wenn du das je wieder tust, wirst du aus meinen Diensten scheiden müssen.«
    »Ich habe es für Euch getan. Damit die Nachricht nach Akkon kommt.«
    »Du hast es für dich getan. Weil du eitel und ruhmsüchtig bist.«
    »Vergebt mir.«
    »Vielleicht. Darüber werde ich entscheiden, wenn du Akkon erreichst, ohne dein Blut zu saufen wie ein heidnischer Barbar.«
    »Aber wie soll ich hinkommen, wenn ich meinen Namen nicht weiß ?«
    »Das ist deine Prüfung.«
    »Sagt ihn mir ! Ich weiß, dass Ihr ihn kennt, also sagt ihn mir …«
    »Schsch. Ich kenne Euren Namen nicht, sonst würde ich ihn Euch sagen, Ihr habt mein Wort.« Die Stimme hatte sich verändert. Sie klang immer noch rau, aber nicht mehr verächtlich, sondern tröstend.
    »Mein König …«
    »Das bin ich nicht. Ich bin Arzt. Mein Name ist Josua ben Isaac, und Ihr seid in meinem Haus. Hört Ihr mich?«
    »Josua.«
    »Oh, gepriesen seiest du, Herr. Er hört mich endlich«, murmelte die Stimme. »Ganz recht. Ihr seid in Norwich im Haus des Juden Josua ben Isaac. Erinnert Ihr Euch?«
    »Nein.« Er konnte die Augen nicht aufschlagen. Die Lider wollten sich einfach nicht öffnen. Er sah nur Schwärze.
    »Ihr seid verwundet und habt Fieber. Das Fieber hält Euch in dem ewig gleichen Traum gefangen, der Euch quält, und darum müsst Ihr Euch davon befreien. Hört Ihr mich, Losian?«
    »Das ist nicht mein Name.« Die Schwärze lichtete sich, verwandelte sich in das sachte Perlgrau der Morgendämmerung.
    »Doch, denn er ist besser als gar keiner. Ihr führt eine Gemeinschaft an, deren Mitglieder Euch Losian nennen. Erinnert Ihr Euch an Eure Freunde, Losian?«
    »Das ist nicht mein Name …« Die Wüste kehrte zurück.
    »Wie lautet er dann?«
    Er öffnete den Mund, um seinen Namen auszusprechen, aber der Wind fegte ihm heißen Staub auf die Zunge, und seine Stimme versagte. Er schluckte den Staub hinunter, mühte sich ab, um genug Speichel zum Sprechen zu sammeln, doch als das endlich geglückt war, war ihm der Name wieder entglitten. Er wollte heulen vor Wut über diese verpasste Gelegenheit, aber er war zu ausgetrocknet für Tränen. Fast war er der Wüste dankbar. Denn er ahnte, wenn er einmal anfing zu heulen, würde es verdammt

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