Hiobs Brüder
hatte, dass er bei dieser Familienangelegenheit nichts verloren hatte. Und doch ahnte er, dass die Juden nur aus Höflichkeit ihm gegenüber Normannisch sprachen. »Einer seiner Reisegefährten brach auf der Straße zusammen, und ich kam zufällig vorbei.«
Miriam griff zu einem Schürhaken und wandte sich zum Herd. »Man könnte meinen, er durchstreift die Straßen in der Hoffnung, über einen Kranken zu stolpern«, raunte sie der Glut zu.
»Es waren Menschen in Not, Miriam«, erklärte ihr Vater empört.
Sie nickte und drehte sich ohne Eile wieder zu ihm um. »Daran zweifle ich nicht.« Einen Moment sah es so aus, als wolle sie noch mehr sagen, aber sie überlegte es sich anders.
Losian hörte ungläubig, wie er es für sie tat. »Das waren Euer Sohn und Eure Tochter auch. Ein paar junge Burschen auf der Straße wollten ihnen Ärger machen. Gesindel.«
Betroffen sah Josua zu seiner Tochter, dann weiter zu Moses.
Der nickte grimmig. »Es waren die verfluchten Gojim von letzter Woche.«
Der Vater atmete hörbar tief durch und strich seinem Sohn über den Kopf. »Das ist schlimm, Moses. Und ich verstehe, dass du zornig bist, aber wir werden niemanden verfluchen, nur weil er nicht jüdisch ist, hast du verstanden?«
»Schon, Aba , aber …«
»Nein, es gibt kein Aber, mein Sohn«, unterbrach Josua bestimmt. »Wer hat dir aus der Klemme geholfen, hm?«
Moses ruckte das Kinn in Losians Richtung. »Er.«
»Und was ist er?«
»Ein Goj .«
»Da hast du’s.«
»Habe ich Anlass, mich beleidigt zu fühlen?«, erkundigte sich Losian, um seine Verlegenheit zu überspielen.
»Nein«, versicherte Josua. »Das Wort bezeichnet lediglich jemanden, der kein Jude ist. Schlimm genug, natürlich, aber wir sehen ein, dass Ihr nichts dafür könnt.«
Alle lachten, aber in Wahrheit war Losian ebenso verwirrt wie befremdet. Sogar er wusste, dass die meisten Christen keine großen Stücke auf Juden hielten und sie bestenfalls mit Herablassung betrachteten. Er wäre in seinen wildesten Träumen nicht auf die Idee gekommen, dass es umgekehrt genauso sein könnte.
»Wenn Ihr erlaubt, werde ich sehen, wie es mit meinen Gefährten steht«, entschuldigte er sich.
Josua nickte. »Schickt den jungen Simon in einer Stunde hierher, um Euer Essen zu holen.«
»Gott segne Euch, Josua ben Isaac.« Losian wandte sich ab. Und du wirst sie nicht anschauen, schärfte er sich ein. Du wirst dich nicht wie der letzte Trottel benehmen. Doch als er über die Schwelle getreten war und die Tür zuzog, wurde er im letzten Moment schwach und sah verstohlen über die Schulter zum Herd.
Ihre Blicke trafen sich.
»Sei doch nicht närrisch, King Edmund, du musst essen«, drängte Wulfric und hielt ihm einen halben Brotfladen hin. »Es schmeckt großartig, wirklich.«
Edmund presste für einen Augenblick die Lippen zusammen wie ein trotziges Kind, das seinen Brei nicht will, ehe er erwiderte: »Ich werde kein Brot aus unreiner Hand anrühren.«
»Dann wirst du verhungern«, warnte Godric.
»Ich glaube nicht, dass das Gottes Wille ist. Aber falls doch, so soll er geschehen.« Es waren die Worte des unbeugsamen Märtyrers, aber niemandem entging das Beben in Edmunds Stimme. Er war so ausgehungert wie jeder von ihnen. Und auch sein Fleisch ist schwach, nahm Simon an.
Auf Losians Geheiß hatte er das Essen aus der Küche geholt. Er war unwillig gegangen, denn er hasste es, wie ein Knappe von Losian herumkommandiert zu werden, doch inzwischen war er froh, dass er gehorcht hatte. In der Küche hatte er den Sohn des jüdischen Arztes kennengelernt, einen drolligen kleinen Kerl, der hervorragend normannisch sprach. Und eine Tochter, die ungefähr in Simons Alter war, gab es auch. Zusammen mit einer Magd, einem jüdischen Mädchen aus der Nachbarschaft, hatte sie das Essen bereitet, während Josua und sein Sohn am Tisch saßen und über die Gefangenschaft des Volkes Israel in Ägypten sprachen. Der Rabbi in der Schule habe heute davon erzählt, klärte der kleine Moses den Fremden in der Küche auf. Zehn Plagen habe Gott den Ägyptern und ihrem König geschickt, damit sie Gottes auserwähltes Volk ziehen ließen. Die letzte machte Moses anscheinend besonders zu schaffen: Gott hatte jeden erstgeborenen Sohn der Ägypter sterben lassen.
Simon erinnerte sich, dass ihm das auch Angst gemacht hatte, als er ein Knirps gewesen war und die Geschichte zum ersten Mal hörte.
Trotz ihrer eigentümlichen Erscheinung waren die Juden ihm mit einem Mal gar nicht mehr
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