Hiobs Spiel 1 - Frauenmörder (German Edition)
interessiert war, befürchtete sie zu recht einen rigorosen Lustentzug. Bernadette tröstete sie ein wenig, indem sie ihr warm ins Gesicht pinkelte, aber Sonja dachte weiter ans Sterben. Geburah war der Einzige von ihnen, der schlecht von Dirk-Daniel sprach. »So ein Schwächling«, höhnte er, »lässt sich beim Jagen von einem Gefäß killen. Hat man schon mal von einem Wolf gehört, der von einem Kaninchen totgebissen wird? Ich hasse ihn dafür. Hoffentlich begraben sie ihn in geweihter Erde.«
Geweihte Erde dann am vierten Tag. Der Friedhof. Nicht Dirk-Daniels Beerdigung, die würde irgendwo stattfinden, wo keiner von ihnen je hinging. Nein – dies war der Friedhof, wo Hiob geboren wurde.
»Du hast dich im Tag geirrt. Wir waren gestern verabredet«, stellte er fest.
»Ich konnte nicht kommen. Bist du böse?« Sie umarmten sich, küssten.
»Nein. Ich bin hier herumgeschlendert wie früher, das war auch ganz nett. Und dann dachte ich mir: Versuch’s doch heute noch mal zur selben Zeit. Dieses Mädchen läuft sowieso einen Schritt neben den Normalgleisen her, vielleicht passt es so. Et voilà – du bist pünktlich.«
»Dirk-Daniel ist tot.«
»Der Kotfresser? Oje. Ich wünschte, ich könnte etwas Nettes über ihn sagen, aber nachdem, was du mir von ihm erzählt hast, ist es, glaub ich, kein großer Verlust für die Menschheit.«
»Du bist grausam, Magier.«
»Ich bin Magier.«
Es war heiß und sonnig, die Baumblätter und Grasflächen leuchteten, so sehr es ihr durstiger Zustand erlaubte. Hiob trug ein Shade the Changing Man -T-Shirt, das ihm fast bis zu den Knien hinunterreichte. Sie gingen, vom Marheinekeplatz kommend, ein paar Meter weit die Bergmannstraße rein und bogen dann rechts in den ersten Friedhofseingang. Dreifaltigkeit . Während sie den Weg berganschlenderten, zog links eine bemooste, weinende Madonna an ihnen vorbei. An Cuno Horkenbachs weißem Delphi-Tempel zweigten sie links ab. Weit voraus war ein blaugrüner Fleck zu sehen, fast dieselbe Farbe, nur ein paar Akzente dunkler, wie Hiobs Augen. »Dahinten ist die Tür«, erklärte Hiob, aber es war noch ein Stück Wegs bis dahin. Rechts waren rote Klinkerbauten und -mauern, dann nickte ein hinter einer überwucherten Mauer nur oberhalb der Schultern zu sehender Jesus unter einem Baldachin aus Eschnapur zu ihnen herüber. Schleiermachers Grab links mahnte Gedenket an eure Lehrer, ein verhinderter Obelisk rechterhand gab hinter Netzstrümpfen anzüglich Blicke auf einen wuchtigen Sarg frei. Die blaugrüne Tür voraus wurde deutlicher, mit ihr der annähernd würfelförmige, helle Bau, zu dem sie gehörte, und die geschmacklose, ablenkende Grabpyramide rechts davon, auf der in goldenen Lettern V. OPPENFELD’S ERBBEGRÄBNISSTÄTTE 1828 angepriesen wurde. Dieser merkwürdige Friedhof war ein Ramschladen der gesamtglobalen Architekturgeschichte.
Das 4 × 4 × 4 oder 5 × 5 × 5 Meter umfassende Gebäude mit der blaugrünen Tür war weit und breit das einzige, auf dem kein Familienname stand. Ein christliches Kreuz krönte die Front, ein schnörkeliges Relief, um einen sechszackigen Stern herum angeordnet, ein paar Verzierungen, die wie ins Jugendfreie romantisierte Wasserspeierdämonen ohne Köpfe aussahen.
»Siehst du die Inschrift da über der Tür? PER ASPERA AD ASTRA. Aus dem Staub zu den Sternen. Oder aber auch – wie meine Familie es bevorzugt: Durch Niedertracht nach oben. «
»Durch Niedertracht nach oben?«
»Die Blutlinie der Montags hat schon immer einen ausgeprägten Hang zur skrupellosen Erreichung des Unmöglichen gehabt. Auch, als wir noch Montague hießen und selbstdestruktive Schwachköpfe wie Shakespeares Romeo hervorbrachten.«
»Du bist mit Romeo verwandt?«
»Na klar. Der sechszackige Stern da oben ist sowohl eine Verbeugung vor dem jüdischen Glauben als auch ein Porträt von Bruder Sirius. Komm, lass uns hinten herumgehen.«
Die Rückwand war glatt und kalt und auf den ersten Blick unscheinbar, bis sich dem aufmerksameren Betrachter die eingemeißelten Zeichen erschlossen.
Hiob spielte weiter den Fremdenführer. »Das da in der Mitte ist das Christussymbol, das sich aus den griechischen Buchstaben für CH und R zusammensetzt, also einem X und einem P. Links davon ist ein Alpha, rechts davon ein Omega.«
»Ich weiß. Anfang und Ende.«
»Genau. Jesus allerzeit in Ewigkeit. Oder, in Montagscher Lesart: Am Anfang gab es nur NuNdUuN, dann kam für kurze Zeit Christus, und im ganzen Omega seither sind wir wieder
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