Hiobs Spiel 1 - Frauenmörder (German Edition)
allein mit dem Großen Dunklen Kalifen. Genügend Platz also für einen wie mich.«
»Einen Magier.«
»Einen Aufsteiger, wenn man so will.«
»So.«
Sie zwängten sich durch eine Lücke in einer Mauer wieder zur Vorderfront zurück. »Wenn man einen Friedhofsverantwortlichen fragt, ob das hier ein Mausoleum ist oder nicht, wird man zur Antwort bekommen, dass dieses gut in Schuss gebliebene Bauwerk in städtischem Besitz ist und als Kapelle oder Lagerhaus fungiert. Ist natürlich alles völliger Quatsch. Außer mir und meinem Großvater kommt hier keiner rein, und mein Großvater sorgt auch dafür, dass das so bleibt. Dieses Bauwerk stand, natürlich in abgewandelter Form, schon hier, als noch westgermanisch-swebische Semnonen hier gehaust haben. So etwa zu Christi Zeiten. Damals war es schon so eine Art Tempel für irgendeinen ziegenschändenden Dämon. Hat sich nicht groß verändert seitdem, im Daseinszweck.« Gemeinsam stiegen sie die fünf Stufen bis zur Tür hoch, Hiob nestelte einen großen alten Bartschlüssel aus seiner Hosentasche und schloss auf. Dann scheuchte er Bernadette, sich verschwörerisch umsehend, schnell in den Innenraum und schloss hinter ihnen wieder ab. Durch die beiden oben nicht völlig zugemauerten Fenster an der rechten und linken Seite fielen schwere Sommerbalken kubistisch ineinanderverkeilt in den Staub, der überall so dicht schwebte, dass der Boden des Mausoleums fast in völligem Dunkel lag. Es roch merkwürdig schal nach Essig. »Ein toller Platz, um Liebe zu machen«, stellte Bernadette fest.
»Na ja. Ich denke, jeder Platz ist toll, um Liebe zu machen, selbst der Walther-Schreiber-Platz. Okay, jetzt beweg dich besser nicht, jeder Schritt könnte ein Fehler sein.«
Bernadette schloss in Erwartung dessen, was jetzt kommen wollte, lächelnd die Augen, aber Hiob schlurfte nur herum, fummelte nach ein paar auf dem Boden stehenden Laternen und zündelte mit Hilfe eines Kneipen-Streichholzbriefchens zwei an. Danach klatschte er mit flachen Händen mehrmals gegen bestimmte Stellen der Wand, bis in der hinteren rechten Ecke ein rastendes Geräusch zu hören war und eine Steinplatte sich mit ganzem Körpereinsatz unter die Bodenfläche schieben ließ. Für einen Magier, stellte Bernadette in den folgenden Minuten nüchtern fest, mühte sich Hiob dabei ganz schön ab. »Ist schon ein paar Jahre nicht mehr bewegt worden«, erklärte er und wischte sich mit dem Saum des T-Shirts den Schweiß vom Gesicht. »Zu geht’s aber leichter. So, komm jetzt, Babe. Gruften müssten doch genau dein Fall sein.«
Sie nahm eine der Laternen, gab die andere Hiob in die Hand, und dann folgte sie ihm die dreiundzwanzig einwärts gedrehten Stufen in die Tiefe.
Und da war sie tatsächlich. Die Bibliothek, von der er erzählt hatte. Zwar nur ein einziger Raum, dessen Ausmaße nicht größer waren als das Gebäude oben drauf, aber an sämtlichen Wänden und Dutzenden und Aberdutzenden von Regalen bis unter die sandige Decke mit Büchern, Kartenrollen und Folianten vollgestopft. Außer einem freien Platz in der Mitte, dessen zwei Meter Durchmesser mit einem Pentagramm und verschiedenfarbigen anderen arkanischen Symbolen bemalt waren, blieb kaum Raum zum Sitzen, geschweige denn zum Gehen.
»Unglaublich. Unfassbar. Und es gibt überhaupt kein Licht hier unten.«
»Außer den Laternen und Hunderten von Kerzen nicht.«
»Und Nahrung? Und Atemluft? Und ein Klo?«
»Na ja. Einmal im Monat kam mein Großvater vorbei, brachte mir ein paar Teigwaren und Ziegenmilch mit und all so’n Zeugs. Er zirkulierte auch die Luft von oben ein bisschen herum und nahm den Exkremente-Eimer mit raus und leerte ihn da irgendwo auf den Grabkranzkompost. Es hatte halt alles ein bisschen den Komfort eines türkischen Gefängnisses.«
»Und wie lange hast du hier unten gelebt?«
»Ein Jahr, ohne den Raum zu verlassen. Im zweiten Jahr durfte ich vollmonds immer raus und auf den Gräbern tanzen.«
»Das ist wirklich unglaublich.« Bernadette schritt vorsichtig zwischen Bücherstapeln hindurch und berührte so viele Gegenstände wie möglich mit den Händen. Das Pentagramm auf dem unbedeckten Erdboden mied sie. »Wie alt warst du damals?«
»Neunzehn und zwanzig. Das war direkt nach dem Abitur, also in den Jahren, in denen andere sich entweder in den bunten Universitätssalat werfen oder mit ihrer Karriere anfangen.«
»Das Abitur hast du aber noch brav gemacht?«
»Mehr schlecht als recht. Am Ende hing noch alles von der
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