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Hiobs Spiel 1 - Frauenmörder (German Edition)

Hiobs Spiel 1 - Frauenmörder (German Edition)

Titel: Hiobs Spiel 1 - Frauenmörder (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tobias O. Meißner
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verzehrt zu werden.
    Als er sich in der Gegend der öffentlichen Toiletten im Bahnhof Zoo herumdrückte, fiel Dirk-Daniel wieder eine von Bernadettes alchimistisch-theoretischen Lektionen ein, um drängend prall gefüllte Fabriken kurz vorm Ablass abzupassen. Die unermüdlich geistige Bernadette hatte dem Rudel eine Vorlesung gehalten über die von allen mittelalterlichen und zeitgenössischen Alchimisten als Ausgangspunkt der göttlichen Reinheit betrachtete und streng geheimgehaltene prima materia , die in den Quellen beschrieben wurde als »allen Menschen bekannt, sowohl den jungen als auch den alten. Dennoch wird sie von allen verachtet. Arm und Reich gehen täglich damit um. Sie wird von den Dienstmädchen auf die Straße geworfen, die Kinder spielen damit. Trotzdem gibt keiner einen Heller dafür. Neben der menschlichen Seele ist sie das kostbarste Ding auf der Erde. Sie hat die Macht, Könige und Prinzen vom Thron zu stürzen. Trotzdem hält man sie für das gemeinste und schmutzigste der irdischen Dinge.« Es war offensichtlich für Dirk-Daniel, dass diese prima materia menschliche Scheiße war – der Hinweis mit dem »vom Thron stürzen« war einfach zu deutlich –, und wenn selbst alle Gelehrten der Alchimie auf Scheiße schworen, wie konnte dann also seine ureigene Leidenschaft etwas Niedriges sein? War er nicht vielmehr ein Gelehrter, ein Weiser, ein Wissenschaftler – ja, mehr noch: ein Umwandler, ein Veredler, ein bislang fehlendes Bindeglied zur Vervollkommnung des Kosmos?
    Dirk-Daniel Gester wurde wie eine Kobra angezogen vom tausendfach verkrusteten Lockstoffaroma der unterirdischen Bahnhofstoilette, aber als die beiden fast identisch aussehenden Klofrauen ihre fetten Hälse wandten und ihn durch dicke Brillengläser hindurch anglotzten, schluchzte er nur auf angesichts der Undurchführbarkeit eines hier unten veranstalteten Bacchanals und suchte, taumelnd und murmelnd vor Gier, das Weite. Die lau schwebende Kohlenmonoxidluft der Nacht mischte ihn zusätzlich auf, bis er, immer noch im Dunstkreis der Prachtboulevards, ein überwürztes asiatisches Restaurant fand, durch dessen Holzzäunchen und Lampionsegen er zog wie ein Schlafwandler. Zwischen Telefon und Küche klemmte er sich durch aufs Herrenklo und drang ein in das ranzige Pissoir der kleinen Goldenen Schüsse mit der Aureole eines Genies, eines olympioniken Quantenspringers.
    In rasender Entladung von Hunger, Durst und Lust zerschmetterte er einem ungepflegten Wasserlasser das Rückgrat unter der braunen Wildleckerjacke und überwand klimmend und krallend eine verschlossene Kabinentür, um einer schreienden Industrieanlage mit beiden Armen ins Geröhr zu schlüpfen und diese von unten her auseinanderzureißen. In Wirklichkeit sah es anders aus, der Typ mit der Wildlederjacke wurde lediglich hart gegen das Pissbecken geschleudert und machte sich ächzend und fleckig auf allen vieren davon, während hinter der gnädig verschlossenen Klozellentür ein schreckliches Zerren und Bohren und Winseln anhob, das erst zur Ruhe kam, als sich das Herz des Opfers zu einem festen Klumpen verkrampfte und stehen blieb wie eine billige Uhr.
    Dirk-Daniel schürfte und fraß den Kot mit der Seelenruhe des Raubtieres und labte sich danach an dem verwässerten Urin, den sein Opfer schon in den Kloabfluss gelassen hatte. Dabei beugte sich Dirk-Daniel weit hinab, erkundete mit dem Arm die so dem Menschlichen verwandten Verwindungen des Abflussrohres und sog die konzentrierte Stimmung von unzähligen Entleerungen und ebenso unzähligen und vergeblichen Desinfektionsversuchen wie ein Lösungsmittelsüchtiger in sich auf, bis ihn eine schraubstockartige Hand im Genick packte, sein Gesicht auf das harte, eiskalte Emaille des Schüsselbodens presste und jemand wieder und wieder die Spülung betätigte. Wiederaufbereitetes Schmutzwasser drang Dirk-Daniel durch die Nasenlöcher nach oben, sprudelte sich dort neue Wege frei, der Druck im Genick wurde zum Knirschen, Dirk-Daniels Zungenspitze wurde von seinen Unterkieferzähnen beinahe abgetrennt, und eine Stimme, die bei ihm in der Zelle war, fragte höhnisch: »Was ist denn los mit dir, hm? Was ist denn los? Hast du ...« Dirk-Daniels immer noch im Rohr steckender Arm brach ab oder wurde zumindest herausgekugelt, als ihn der Griff im Genick anhob und ihn nach hinten – »... etwa ein Problem ...« – gegen die weiß getünchte Tür stieß, die sengend aus den Angeln brach und plötzlich nicht mehr da war, und

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