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Hiobs Spiel 2 - Traumtänzer

Hiobs Spiel 2 - Traumtänzer

Titel: Hiobs Spiel 2 - Traumtänzer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tobias O. Meißner
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Räten der Erde,
    die sich Grabmäler erbauten,
    oder mit Fürsten,
    reich an Gold,
    die ihre Häuser mit Silber füllten,
    oder ich wäre verscharrter Fehlgeburt gleich,
    wie Kindlein,
    die niemals das Licht geschaut.
    Dort lassen die Frevler ab vom Toben,
    dort finden Ruhe,
    deren Kraft ermattet.
    Dort sind gleich die Kleinen und die Grossen,
    und frei ist der Knecht von seinem Herrn.
    Warum gibt er dem Elenden Licht
    und Leben den Seelenbetrübten,
    die des Todes harren, und er kommt nicht,
    und die nach ihm mehr als nach Schätzen graben,
    die sich freuen würden bis zum Jubel,
    die frohlockten,
    fänden sie das Grab.
    Denn Seufzen ist mein täglich Brot,
    es strömen gleich dem Wasser meine Klagen.
    Denn was ich fürchte,
    das kommt über mich,
    wovor ich schaudere,
    das trifft mich.
    (Das Buch Hiob, Kapitel 3, Verse 11, 13-17, 19-22, 24 und 25)

I
    Dieser Winter schien gekommen, um zu bleiben.
    Das Knirschen seines kalten Herzens erfüllte die Stadt mit einer fast primitiven Furcht. Brennstoffe, besonders Kohle, wurden knapp. Auf den hart und gläsern gewordenen Wasserwegen saßen die Schiffe fest und zitterten die Betreiber um ihre Existenz. Feuerwehrmänner machten dumme Gesichter, als sie in den östlichen Bezirken einen Wohnungsbrand löschen wollten, aber kein Wasser kam, weil selbst die Hydranten zugefroren waren. Im gesamten Brandenburger Umland platzten die für einen dermaßen tiefreichenden Bodenfrost nicht unterirdisch genug verlegten Wasserleitungen und machten aus der Stadt wieder eine Insel. Die Trinkwasserversorgung per Lieferwagen wurde von den meisten mit breitschnäuzigem Humor genommen, schließlich war’s ja alles kein ganz großes Drama, niemand starb. Aber das stimmte natürlich nicht. Heimlich und verstohlen, wie sie zuletzt auch hatten leben müssen, starben sich die Alten aus ihren Miseren davon. Der unnatürlich trockene Frost, das mit dem neu aufgetauchten Begriff »Windchill« umschriebene Erleiden waren zu viel für sie. Hiob sorgte sich um seinen Großvater.
    Im Seniorenheim am Donnersmarckplatz war es so warm, dass die Schneereste sich als weiße Flecken in Hiobs billige Stiefel eingebrannt hatten, noch bevor er das Zimmer des alten Magiers erreichte. Dort erwartete ihn eine Überraschung. Seine Sorgen waren unbegründet gewesen, Tharah stand nicht allein dem Winter gegenüber. Moritz Wagsal war bei ihm. Der Heilige und der Unheilige spielten sizilianisches Schach.
    Seit seiner Kindheit hatte Hiob die beiden nicht mehr zusammen gesehen. Irgendwann vor etwa fünf Jahren hatte es sogar einmal richtig Krach zwischen ihnen gegeben, und die beiden Weißköpfe waren nicht mehr dazu zu bewegen gewesen, sich auch nur zu Weihnachten ein Kärtchen abzuringen. Aber in den letzten zwei, drei Jahren war die uralte Freundschaft so langsam wieder ins Lot gerastet. Jetzt beharkten sie sich nur noch auf braun-gelben Holzfeldern. Wagsal lästerte über Tharahs h-Linie, die »offen« sei »wie eine alte Hure«. Tharah konterte damit, dass Wagsals verbliebener Springer blöd rumstehe, »als hätte er sich in die Hosen gemacht« und traue sich »aus Peinlichkeit nicht mehr, sich zu bewegen«.
    Hiob setzte sich aufs Bett und kiebitzte, ohne sich einzubringen. Die beiden markanten Greisenprofile über dem Schlachtfeld gefielen ihm, und er musterte sie aufmerksam. Knorrige Götter waren sie, ohne Mitleid für die Bauern unten. Manchmal funkelten sie sich unter gesträubten Augenbrauen an, als versuchten sie, die Gedanken des anderen zu lesen. Wahrscheinlich war genau das auch der Fall.
    Tharah gewann. Alles schien auf einen sauber vorbereiteten Mattangriff des Antiquars hinzudeuten, als Tharah plötzlich einen zuerst verzweifelt wirkenden Gegenangriff startete, Wagsals König aber mit dauernden Schachs immer genau einen Zug vor dem eigenen Matt vor sich hertrieb. Schließlich verhedderte sich Wagsals König in den eigenen Verteidigungslinien, seine Bewegungsfreiheit war zu sehr eingeschränkt, um Tharahs husarenhaften Vorstößen weiter ausweichen zu können. Es war ein echtes Matt. Hiob staunte über die jugendliche Wildheit der Partie. Er hatte eher mit einem abgeklärten Positionieren auf Punktsieg hin gerechnet.
    Auch nach dem Kampf sprach noch keiner der beiden Alten mit ihm. Sie blieben weiter über das Brett gekrümmt und analysierten aus dem Nachhinein heraus Fehler und mögliche Alternativen.
    Irgendwann dann murmelte Tharah ganz beiläufig: »Sie hat mir schon wieder die Pfeife weggenommen,

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