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Hiobs Spiel 2 - Traumtänzer

Hiobs Spiel 2 - Traumtänzer

Titel: Hiobs Spiel 2 - Traumtänzer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tobias O. Meißner
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länglichen Packpapierding unter dem Arm passte sich ins bunt gemischte Straßenbild der Stadt so nahtlos ein wie ein vollständig geschminkter Clown in einen Rummelplatz.
    Er sah Mönche mit unheimlichen, die Augen verdeckenden Strohhüten an Ecken stehen und mit tiefer, monotoner Stimme für eine milde Gabe singen. Er sah Geishas trippeln zwischen breitschultrigen Yakuza-Typen, denen die Tätowierungen schier aus den Sakkoärmeln trieften. Überall flammten und oszillierten Monitore und Leucht-Laufschriften und ampelten Firmenschriftzüge durch die Gegend oder zeigten polygonisierte Bloodsport-Computeranimationen. Vierzehnjährige Nutten in Schuluniformen lungerten sich nägelkauend durch Spielhöllen. Outlaws mit nächtlichen Ray-Bans kurvten auf aufgemotzten Kawasakis über Bürgersteige und legten sich mit jedem an, der schwächer aussah. Unglaublich viele identisch gekleidete Gutverdiener (dunkle Anzüge, weiße Hemden, dunkle Krawatten) hockten in Sushi-Bars und Bierhallen zusammen und ließen sich ein ganz klein bisschen gehen. Die Schönheit einiger Frauen war aggressiv und verlogen, denn sie hatten nicht vor, die Versprechungen ihres Gangs zu halten. An einer Straßenecke spielten Punks die karottenroten Johnny-Rotten-Posen nach, aber ihre Musik war anders, wuchtiger, eher hämmernder Grunge-Noise à la Sonic Youth. Nichts stimmte hier, aber jeder klammerte sich so daran, als müsste morgen schon alles verlöschen.
    Das Schnuppern nach der Choucroute-Fährte und das damit einhergehende Einsaugen aller erdenklichen exotischen Gewürze und Soya-Variationen machte Hiob hungrig, also kaufte er sich an einem Imbissstand drei Yakitori-Spieße und kippte dabei zwei Schälchen Awamori-Schnaps. Er hatte in Hamburg gerade genug Yen getauscht, um sich ein Zimmer und einmal was zu essen leisten zu können. Er hatte also noch was übrig, da die Hotelkapsel billig war, und probierte noch drei verschiedene Sushi-Reis-Seetang-Bündelchen, die ihm jedes so gut schmeckte, dass er beschloss, in Berlin auch mal japanisch essen zu gehen. Jedenfalls war er jetzt satt, fühlte sich wohl und bewegte sich weiterhin in einer Himmelrichtung, die er nicht hätte benennen können, durch Stadtviertel, deren Namen er nicht kannte. Die Duftfährte war ziemlich geradlinig, was darauf hindeutete, dass der Gegner sich nicht wie wild bewegte. Das war gut so, das vereinfachte die Sache. Eine wilde Verfolgungsjagd wäre in so einer Stadt sicherlich ein Heimspiel des Lokalmatadoren geworden.
    Seine Nase führte Hiob jetzt in leisere Gefilde. Die Häuser waren hier vier- oder fünfstöckig, mit außen umlaufenden Treppenaufgängen und Balkonbalustraden, die auch farblich von der Fassade abgesetzt waren. Papierlaternen spukten ihr Geisterlicht auf streunende Katzen und parkende Kleinwagen. Flackerne Fernsehprogramme wurden wie Motten von Satellitenschüsseln angezogen, klatschten hindurch und beleuchteten Innenwelten. Die Grenze zwischen den Vergnügungszentren für solvente Herren und den Slums verlief hier wie mit dem Lineal gezogen, und kein Unverzweifelter überschritt normalerweise die unsichtbare Palisade. Ein rundköpfiger Hund knurrte Hiob hinter einem Maschendrahtzaun an und fing dann sabbernd an zu bellen. Dunkler wurden die Straßeneinmündungen. Hiob durchnestelte mit den Fingern das Packpapier über der Abzugskonstruktion, sodass er den Finger schussbereit hatte. Der Geruch nach würzigem Sauerkraut war jetzt stark und schien von überallher gleichzeitig zu kommen. Hier war es also. Hier irgendwo lauerte das Monster, lugte verzerrt hinter irgendwas hervor. Erwartete es ihn? Nicht ausgeschlossen. Nichts Schlimmes war ausgeschlossen in dieser Art von Spiel.
    Der beschissene Köter übertönte mit seinem blöden Gekläffe jegliches Geräusch, das Hiob eine Ahnung einer Annäherung hätte vermelden können. Choucroute balgte sich jetzt mit den Gerüchen von ausgelaufenem Motoröl, verwittertem Holz und feuchter Wäsche. Irgendjemand kochte Krabben. Einer oder eine liebte Blumen.
    Hiob stand mitten auf der Straße und schwenkte das Rohr auf seiner Schulter wie einen infrarotbereiten Suchscheinwerfer. Er hielt es für besser, die Mündung der Waffe nicht vom Papier freizuzupfen. Erstens war das eh nicht nötig, und zweitens würde es dann jemandem, der zufällig vorbeikam, schwerer fallen, das Ding als Panzerfaust zu erkennen. Der Geruch des Lieblingsessens seiner Kindheit wurde langsam zum Gestank, ging ihm jetzt auf die Nerven, weil er

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