Hiobs Spiel 2 - Traumtänzer
ins Schwitzen gekommen. Es ist ein harter Kampf, verdammt noch mal! Es ist kein Schachspiel mit anschließendem Händedruck. Menschen sterben, und das nicht zu knapp!« Hiob stand am Fenster, mit dem Rücken zu den beiden. Irgendwann musste er wohl aufgesprungen sein.
»Menschen sterben jeden Tag, in jeder einzelnen Sekunde unseres Lebens«, sagte Tharah mit fester Stimme. »Und das, was du bisher durchlitten hast, ist nichts, NICHTS, im Vergleich zu dem, was noch kommen würde. Wenn hier irgendjemand nicht ganz weiß, wovon er redet, dann bist du das, Iob. Nach zehn Prognostica und einer Manifestation weißt du’s noch immer nicht. Die Position des Spielers zu bekleiden heißt, der in den meisten Fadenkreuzen stehende Mensch auf dem gesamten Planeten zu sein, heißt: die am meisten erleidende und das Härteste erduldende Kreatur von allen zu sein. Und die Position des besten Spielers aller Zeiten bekleiden zu wollen, bedeutet, diese Superlative des Schmerzes auch noch mit dem Zusatzattribut ›der jemals existierte‹ zu versehen. All diese unerträgliche Folter hast du dir selbst, freiwillig, auf deine Schultern geladen und damit all meine Warnungen und all meine Bemühungen um deine Person in den Wind geschlagen und zunichtegemacht.«
Hiob konnte im Spiegelbild des Fensters sehen, wie Wagsal seinem alten Freund die Hand auf den Arm legte, um ihn zu besänftigen. Wagsal war es auch, der fortfuhr: »Was wir dir nun raten wollen, ist Folgendes. Wenn der Order of One an dich herantritt, und es wird nicht mehr lange hin sein bis zu diesem Moment, dann versuche, einen Pakt mit ihnen herauszuhandeln. Versuche, sie dazu zu bringen, dich auf eine Art und Weise zu töten, die dich aus dem Spiel extrapoliert. Auf diese Weise würde der Welt wenigstens die Katastrophe erspart bleiben, die sonst immer mit dem Tod oder dem Versagenseingeständnis eines Spielers einhergeht. Nutze die Macht der Merowinger, um den Fürsten ein letztes Mal zu narren. Und nutze diese einmalige Chance, aus dem Leben zu scheiden, ohne ein Ewigkeitsspielball des Wiedenfließes zu werden.«
Hiobs Stimme erschreckte ihn selbst. So musste es klingen, wenn eine Mumie sprach. »Ich kann nicht glauben, was ich hier höre. Ich kann nicht ... glauben, dass ihr mir allen Ernstes zum Selbstmord ratet.« Steif, irgendwie blutleer, wandte er sich zu den beiden um. »Bei meinem Großvater kann ich es vielleicht noch begreifen. Der war schon immer gegen das Spiel. Aber du, Wagsal, du hast mir doch erst kürzlich noch geholfen! Der Teddybär, hast du das schon vergessen?«
Wagsal sah so traurig aus, dass jeder andere außer Hiob ihn jetzt wohl am liebsten in die Arme genommen hätte. »Es tut mir wirklich sehr leid, mein Junge. Damals hatte ich noch nicht mit Terach so richtig über die ganze Sache debattiert. Mir fehlten viele Informationen, unter anderem auch die über die Merowinger. Ich hielt es für das Beste, erst mal zu helfen, erst mal weiterzumachen, bis sich irgendeine Möglichkeit bietet ... zum Ausstieg. Ich bin schwach. Wir alle sind es. Wir alle haben Fehler gemacht. Wir müssen jetzt ... die Zukunft planen.«
»Das stimmt.« Hiob schaute wieder aus dem Fenster. Der Garten sah aus, als wäre er von der Kälte ermordet worden. »Scheiße«, sagte er leise, »ist das alles lächerlich. Zwei ...« – für einen Moment lag ihm ›demenzgebeutelte Bettnässer‹ auf der Zunge, aber das hier waren doch nicht seine Feinde, konnten doch nicht seine Feinde sein, er überwand sich zur Mäßigung – »zwei ... Adepten, deren beste Zeiten ganz weit hinter ihnen liegen, versuchen, sich mit mir über das Konzept Zukunft zu verständigen.« Er riss sich vom Fenster los und ging zur Tür. Im Vorbeigehen sagte er noch zu den beiden alten Männern: »Wenn eure Freunde von den Merowingern sich wieder bei euch melden, richtet ihnen doch bitte aus, dass ich mich schon darauf freue, mir aus ihren heiligen Hodensäcken einen Adventskalender zu basteln.«
Mehr Mäßigung war beim besten Willen nicht drin gewesen.
II
Tage vergingen. Der Winter schlug seine Eiszapfenzähne noch tiefer in die Gemüter der demütig dahinschattenden Menschen. Hiob wartete auf das nächste Prognosticon, auf den Showdown der Wette.
Er versuchte, Widder zu kontaktieren. Während der gesamten mehrmonatig laufenden Wette hatte er sie nicht mehr gesehen oder gesprochen, und er empfand langsam wirklich Sehnsucht nach ihr. Aber hatte er sich anfangs von sich aus nicht an sie gewandt, um sich
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