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Hiobs Spiel 2 - Traumtänzer

Hiobs Spiel 2 - Traumtänzer

Titel: Hiobs Spiel 2 - Traumtänzer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tobias O. Meißner
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anständiges Brot als leitender Angestellter bei den städtischen Wasserwerken, den alle gut leiden konnten. Nach Feierabend engagierte er sich zweimal die Woche in einer Laientheatergruppe namens The Ater . Ich kann mich noch gut daran erinnern, dass ich meinen Dad so manches Mal verkleidet auf einer kleinen Bühne rumspringen sah, wenn er den Zettel gab oder den Famulus Wagner oder irgendeine Nebenfigur bei Molière. Als Kind fand ich das immer lustig und hatte niemals Schwierigkeiten, meinen Vater unter den ganzen maskierten Schauspielern herauszufinden, weil er selbst mit schwarzem Gesicht, Pluderhosen und Turban immer noch wie Pappa aussah und sich bewegte. Ich selbst wollte aber nie mitspielen, im Gegensatz zu den anderen Söhnen und Töchtern von Mitwirkenden. Ich war nie gut darin, vorgegebene Texte auswendig zu lernen. Mein Gehirn funktioniert nicht auf diese Weise. Außerdem hatte ich immer Angst, beim Auftritt eine Schmerzattacke oder einen Kreislaufkollaps zu erleiden oder einer Märchenprinzessin brodelnde Kotze übers Dekolleté zu speien, wenn ich mich gerade als einer der sieben Zwerge besorgt über sie beuge. Nein, die Öffentlichkeit war schon immer zu heikel für mich. Einer wie ich ist dazu verdammt, im Dunkel zu wirken.
    Jedenfalls: mein Vater. Ein lieber Kerl, der unter seinem gebrechlichen und dauernd Sorgen bereitenden Sohn litt und unter seinem Vater, der mit uns in der geräumigen 5-Zimmer-Miet-Altbauwohnung lebte und eigentlich keine Gelegenheit ausließ, seinen Sohn spüren zu lassen, wie sehr dieser ihn enttäuschte.
    Und dann war da natürlich noch meine Mutter. Ein – und das ist noch gelinde ausgedrückt – erotisches Erdbeben mit dunkelroten langen Haaren und dunkelgrünen großen Augen, eben genau die Art Frau, unter der sich Klein Fritzchen gut eine Hexe vorstellen kann, die sich nachts in eine Katze verwandelt, um es lautstark mit den streunenden Katern zu treiben. Die Seitensprünge meiner Mutter kann man schon gar nicht mehr als Seitensprünge bezeichnen. Eigentlich ging sie die ganzen Jahre eher seitlich neben uns her. Sie war handverlesen worden im zarten Alter von sechzehn Jahren, handverlesen von dem alten Magier Terach, um aus den rezessiv gebliebenen Genen seines Sohnes und ihren eigenen, dem elsässischen Naturbrauchtum entstammenden Weibskräften einen Messias hervorzubringen: mich, das hässliche Kind. Nur sechzehn Jahre älter als ich, würde sie wahrscheinlich auch heute noch eher als meine große Schwester durchgehen denn als meine Mutter, und dementsprechend unmütterlich waren auch stets ihre Gefühle für den kleinen, kränkelnden Balg, den ihr Schoß hervorgebracht hatte. Ehrlich gesagt habe ich nie erfahren, weshalb sie sich eigentlich auf diesen Deal eingelassen hatte. Ob sie in einer Notsituation gewesen war und Terach sie dort herausrettete, oder ob er ihr Einweihung in sein Wissen versprach (auch sie entstammte einer altehrwürdigen, magisch tendierten Ahnenreihe, ihr Familienname ist Izambleau) – sie hat’s mir nie erzählt, und ich hab sie auch nie danach gefragt. Jedenfalls: Wenn sie mal hingegangen wäre, wäre sie wahrscheinlich auf jeder Elternversammlung die Ballkönigin geworden. Aber sie ging da nie hin. Sie hatte ihre »außerehelichen Intimkontakte«. Und für mich war mein Vater zuständig. Mit rührender Hilflosigkeit versuchte er, den Problematiken seines heranwachsenden Freak-Sohnes zu begegnen.
    Als ich dreizehn Jahre alt war, sprang mein Vater aus dem Fenster. Unsere Altbauwohnung lag hoch genug. Er machte sich einfach davon. Wie ein Vogel, der vom Fensterbrett abhebt. Schwupp, und weg war er. Ich habe damals die Plötzlichkeit dieses Jetzt-ist-er-weg-und-wird-nie-wiederkommen gar nicht richtig verarbeiten können. Die traurigen Gesichter seiner Freunde und Kollegen, die bei uns aufkreuzten, um ihr echtes Beileid auszudrücken, deprimierten mich zwar, aber ansonsten ging alles weiter, mit – wie es mir schien – erhöhter Geschwindigkeit. Mutter nahm die Zügel in die Hand. Das hieß erstens: Umzug von ihr und mir in eine grünere und politisch schwärzere Vorstadtgegend, und zweitens: Abschiebung des alten Nörgelgreises Terach in ein Altersheim am genau anderen Ende der Stadt. Wenn ich mir die Sachlage so im Nachhinein durch den Kopf gehen lasse, wundere ich mich eigentlich darüber, dass der alte Magier sich so wenig dagegen gewehrt hat. Wahrscheinlich war es ihm ganz recht, sich nicht mehr alltäglich mit dem grünäugigen

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