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Hiobs Spiel 2 - Traumtänzer

Hiobs Spiel 2 - Traumtänzer

Titel: Hiobs Spiel 2 - Traumtänzer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tobias O. Meißner
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Teufelsweib messen zu müssen. Der Verkauf der Altbauwohnung brachte was ein, und darüber hinaus verdiente meine Ma ein recht erstaunliches Salär mit Handlesen, Prophezeiungen und was weiß ich für Diensten am Kunden noch, über die ich gar nicht nachdenken will.
    Ich ging aufs Gymnasium, hielt weiterhin Kontakt zu meinem besten Freund und seiner Familie, die ich im alten Wohnviertel zurückgelassen hatte. Zweimal die Woche bekam ich arkanischen Unterricht von meinem Großvater, ein- oder zweimal im Monat brachte meine Mutter mir was über Kräuterverarbeitung und Drogenherstellung bei. Dann lernte ich das Gothic-Mädchen Zante kennen und – wie man eben so sagt – lieben und über sie ihren Vater, den Druiden, sodass ich während meiner Pubertät gleich drei übernatürliche Lehrmeister hatte und meinen derart angereicherten Samen in ein dafür empfängliches Gefäß gießen konnte. Eine merkwürdige Zeit. Ein Sturm und Drang, verzeitlupt in schwarze Spitze gehüllt. Hiob der Leidende wird langsam Wirkender. Morbide Romantizismen im Mondlicht. Tagsüber, vormittags, das angewiderte und desinteressierte Absitzen einer Leistungsgesellschaft-Schülerkarriere mit mehr als durchwachsenen Noten und etlichen persönlichen Reibereien mit pathetischen und pathologischen Lehrkräften. Meine Loslösung vom bundesrepublikanischen Sozialgefüge war nicht mehr aufzuhalten, gewann immer mehr an Eigendynamik. In den Fünfziger Jahren hätten die Amis über so einen wie mich ein Juvenile-Delinquent-Movie gedreht. Vic Morrow hätte mich gespielt oder – um die verlogene Tragik zu betonen – Sal Mineo. Auch wenn ich dem gleichgeschalteten Motorrad-und-Auto-Fetischismus anderer Jungmänner nie etwas abgewinnen konnte; am Ende wäre ich wahrscheinlich erschossen worden.
    In dieser Zeit lehrte mich mein Großvater die Theorien vom Wiedenfließ, und sie wurden ein Auffangbecken für all meine Verwirrungen.
    Die grundlegende Darstellung des Wiedenfließes ist von bestürzender Einfachheit: Es gibt eine materielle Welt, und es gibt eine immaterielle Welt, auch als spirituell, spiritistisch oder magisch bezeichenbar. Wir leben in der materiellen Welt und reichen nur mit unseren Gedanken, mit unseren Träumen und Ideen und unserem Unterbewusstsein in jenes andere Reich hinüber. Das andere Reich jedoch existiert und arbeitet und versucht von sich aus, sich auf unsere Ebene zurückzukoppeln. Auch dort gibt es, genauso wie hier, Machtspiele, Kriege und Könige. Und der König der Könige heißt NuNdUuN.
    Die berühmte christliche Dichotomie war ein Irrtum – genauer: eine bewusst aus didaktischen Gründen in Umlauf gebrachte Fehlinformation . Es gibt kein Gut und Böse, kein Himmel und Hölle, kein Gott und Teufel, keine Belohnung und keine Bestrafung in keinem Leben nach dem Tode. Es gibt nur das Fleisch und den Geist. Leib und Seele. Beides ist wahr, beides ist kein Traum, aber im Geist, im Wiedenfließ, ballt sich letzten Endes mehr Macht als hier drüben, im schwerkraftgebundenen Blut-Sperma-Eisen-Land.

Am Anfang, als die Erde noch jung war und es noch keine Hominiden gab, die sich aufrichteten, um einander größer und ehrfurchtgebietender zu erscheinen, war das Fließ noch unbestimmt, war wie ein Urmeer oder wie eine Sphäre, in dem sich formloses Leben tummelte. Aber als dann die Menschen anfingen, sich zu Unmenschen zu evolutionieren, als Furcht spürbar wurde und Hass, und Lust und Gier und Eifersucht und Geiz, und all das immer konkreter wurde, wurde auch das Fließ immer konkreter und nahm Formen an, und zwar die Formen, die die Menschen ihm verliehen. So wurde das Fließ – wie man in der magischen Lehre so schön sagt – malevolent . Aus den ungeformten Geistern wurden Dämonen und Satyrn, aus den immateriellen Nebeln und Schleiern bildeten sich Schründe und Höllen heraus, und dann kamen die Feldherren und Usurpatoren, entwickelten ein Eigenleben und begannen damit, die Menschen auf ihrem eigenen Feld zu schlagen.
    Ganz am Anfang dieser Entwicklung, die auf ein Gegeneinander von Menschheit und Fließ hinauslief, spaltete sich eine Gruppe von Fließwesen von den anderen ab und nannte sich »Die Unparteiischen«. Die Unparteiischen formulierten die Notwendigkeit eines Miteinanders von materieller und spiritueller Welt, predigten eine Einheit – oder Wiedervereinigung, so sah es ja damals schon aus – und behaupteten, dass eine Abspaltung des Wiedenfließes vom konkreten Erdgeschehen in einen letzendlichen Untergang

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