Hiobs Spiel 2 - Traumtänzer
Montag zu verfassen. Wird sich früher oder später sowieso jemand finden, der das macht, obwohl wir nicht mehr in den Jahrhunderten leben, wo Metaphysikern noch große Aufmerksamkeit zuteil wird, es sei denn, sie reden von UFOs. Habe auch keine Zeit gehabt, Worte für das zu finden, was ich tu. Aber Worte werden gefunden worden sein müssen eines Tages, um der Welt zu erklären, was aus mir geworden ist und warum.
Kann sein, dass der Kopfgeldjäger die Handhabe hat, mich zu ernten. Dann wäre Schluss mit meinem Spiel, und mir bleibt jetzt nur noch, einem anderen die Möglichkeit zu geben, von meinen Erfahrungen zu profitieren. Irgendeinem anderen armen Schwein, der das Spiel spielt, das noch nie einer gewonnen hat.
Heutzutage, wo Street Credibility so ein wichtiger Begriff unter jungen Männern ist, kann ich mit Fug und Recht sagen: Ich komm aus dem Ghetto.
Zwar nicht wohnungsmäßig gesehen oder familiär – aber ich komme aus dem Ghetto der Schmerzen. Halb eingeklinkt als Kind schon in eine Metadimension der astralen Empathie, die ich als Junge weder verstehen, noch verarbeiten geschweige denn kontrollieren konnte, hatte ich dauernd Kopfschmerzen, kriegte bei den leichtesten Fressalien Krämpfe wie bei ner Steißgeburt. Schwindlig war mir oft, ich sah doppelt, die materielle Wirklichkeit überlagert von ihrem eigenen spirituellen Echo. Ich war blass, da im Sommer allergisch gegen alles, was irgendwie nach Leben roch. Ich war mager, da ich beim Sport zu leicht Herzrasen bekam oder manchmal mitten in einem Mannschaftsspiel so eine Art Anfall, wo ich dann stehen blieb und wie blöde vor mich hinstarrte, während mir in dickem Strahl Blut aus der Nase strömte. Ich lernte erst viel später, dass diese Anfälle dadurch ausgelöst wurden, dass gerade irgendwo auf der Welt ein kleines Massaker stattfand oder jemand totgefoltert oder totgefickt wurde oder sich das Fließ sonst wie zur Geltung brachte. Die Ärzte waren ratlos, mein Vater war hilflos, meine Mutter war desinteressiert, nur mein Großvater war für mich da und half mir über vieles weg, meistens, indem er mir kryptische Gleichnisse erzählte von Menschen, die anders waren als andere, und was für eine Gabe so was sein konnte.
Ich war aber nicht dankbar für meine Gabe. Mit zehn hatte ich alle Kinderkrankheiten durch und wahrscheinlich dabei auch noch ein paar neue erfunden, die nur deshalb nicht nach mir benannt wurden, weil die Ärzte nicht an mich erinnert werden wollten. Mit fünf hatte ich Mumps und Meningitis gleichzeitig gehabt und wurde vorübergehend dadurch kurzsichtig und sprachgestört, aber das legte sich wieder, rechtzeitig zu den Einschulungstests. In der Schule war ich unauffällig, einigermaßen klug, von der Klassengemeinschaft nie richtig akzeptiert, weil meine An- und Ausfälle so unheimlich waren. Beim Tipp-Topp-Abzählen von Mannschaften war ich immer der Letzte, der übrig war. Keiner wollte den Spasti haben. Meine krankheitsbedingten Fehltage waren stets in neuen Rekordhöhen auf den Zeugnissen vermerkt. Sollte sich mehr bemühen, dem Unterricht zu folgen, stand da auch mal, und einmal sogar das bezeichnende »Lenkt andere, langsamer arbeitende Mitschüler oft durch ungeduldiges Verhalten ab«. Meine Handschrift übrigens wurde immer mit 4 benotet. Großvater sagte, das deutet auf einen eigenwilligen Charakter hin. Meine Hand will überall hin, nur nicht dorthin, wo der nächste Buchstabe hin soll.
Ich war – mit einem Wort – ein hässliches Kind, und meine hellen türkisfarbenen Augen müssen den Leuten unangenehm in den Blick gestochen haben.
Zu Hause war alles relativ in Ordnung.
Mein Vater war ein weichlicher, zum Bauch neigender, freundlicher Mann, der Depressionen kultivierte, in denen er buchstäblich das Heulen anfing. Ich habe meinen armen Vater oft flennen gesehen, heute bewundere ich ihn manchmal fast dafür, als Kind war mir das natürlich stockpeinlich. Dabei war es zwangsläufig, dass mein Vater depressiv war. Er war der Sohn eines seinerzeit berühmten Magiers, des großen Terach Montag aus der großen Ahnenreihe der Per Aspera Ad Astra -Montags, die immer dort gedient oder bekämpft hatten, wo der Brennpunkt war. Er war der Sohn eines deutschsprachigen Merlin, und er war ein kompletter Versager. Seine magischen Fähigkeiten waren gleich null, seine montagsche Kampfeslust und Entschlossenheit waren irgendwie im Mutterleib mit musischer Begabung und Harmoniebedürfnis vertauscht worden. Vater verdiente ein
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