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Hiobs Spiel 2 - Traumtänzer

Hiobs Spiel 2 - Traumtänzer

Titel: Hiobs Spiel 2 - Traumtänzer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tobias O. Meißner
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mich fast durch die halbe Stadt führte, fünf oder sechs Stunden Fußmarsch, aber ich wollte keine BVG-Gesichter sehen. Ich hatte etwas Ungeheuerliches getan, ein Dimensionentor weit aufgestoßen, und ich würde niemals belangt werden, weil weder Motiv noch Verbindung zum Opfer vorhanden waren. Mir war danach, etwas Antikes zu tun, die Weltstadt zu Fuß zu durchmessen, zu spüren, wie mich jeder einzelne Schritt aus eigenem Antrieb weiter von meiner Tat entfernte und näher an meine glorreiche Zukunft als Magier-Krieger heranführte. Verspürte ich Reue? Nein, ich kenne keine Reue, darf keine Reue kennen, wenn ich nicht zerschellen will. Ich verspürte Stolz und Vorfreude und kam müde und selbstzufrieden in meiner kleinen Wohnung an.
    Hieronymus Boschs Fieberträume erwarteten mich. In meiner kleinen Sechsundzwanzigquadratmetrigen war ein wilder bacchantischer Rave im Gange, zerdehnte Schleimkreaturen baumelten sich selbst verzehrend von der Decke, absurde Halbmenschen fickten sich gegenseitig brandwund, Fledermausengel mit zerfetzten Schwingen wurden jauchzend zu Tode gefoltert, armlange Insekten legten glitschige Eierbatterien zwischen frische Kackhaufen, Missgeburten tanzten ungelenk um ein verhungerndes Kind herum, Kannibalen vergingen sich an einer Hundertzwanzigjährigen, Flammen rußten und explodierten buntfarben, es war vor lauter Perversion kaum Platz zum Stehen, und den Gestank nach Essigsäure, Fürzen und Tiersperma würde ich für Monate nicht wieder aus der Bude kriegen. Das ganze Szenario war eine dermaßigen knallige Zurschaustellung von »Christliche Hölle«, dass es schon fast etwas Schmierentheaterhaftes hatte. Fehlten eigentlich nur noch ein paar herum»heil!«ende Nazis. Stattdessen aber bahnte sich NuNdUuN durchs Grand Guignol und umarmte mich wie einen verlorenen Sohn. Er sah fetter und wohlhabender aus als damals als Jesus Christ Superstar, diesmal gab er eher Heinrich VIII.
    »Beeindruckend«, stellte ich fest, »der Swingerclub Lehrte/Hämelerwald in voller Aktion.«
    »Nicht halb so beeindruckend wie das, was du geleistet hast.« NuNdUuN lachte enthusiastisch. »Die Spieler der Menschheitsgeschichte waren immer so versessen darauf, gegen den Teufel anzutreten, dass sie alles Mögliche versucht haben, um unangenehme Notwendigkeiten in ihrem ethischen Sinne umzubiegen. Aber du, du bist wirklich ein Novum. Ich sage dir ›Gehe hin und töte!‹, und du gehst hin und tötest, einfach so, und es scheint dir weder Mühe noch Gewissen abzufordern. Du bist ein lupenreiner Psychopath, Hiob Montag, ist dir dies bereits gesagt worden? Fürwahr ein würdiger Anwärter auf den Thron der Hölle. Bravo und vivat!«
    »Du wirst noch der Erste sein, der aufhört zu jubeln«, prophezeite ich cool.
    Er aber ließ sich überhaupt nicht beirren und erzählte mir im Stand-up-Comedian-Stil von einem Spiel-Anwärter vor dreihundert Jahren, der die Geburtsmord-Aufgabe derart interpretiert hatte, dass er sich selbst tötete und dadurch leider für das weitere Spiel nicht mehr zur Verfügung stand. NuNdUuN konnte sich offensichtlich auch nach dreihundert Jahren noch schlapplachen über die Dämlichkeit mancher Adepten. Plötzlich zwinkerte er mir verschwörerisch zu und sagte: »Dir ist natürlich völlig klar, dass ich vor deiner Tat eine Videokamera in Wothes Wohnung habe anbringen lassen und den gesamten Mordakt jetzt mit ein paar astreinen Porträtgroßaufnahmen eines gewissen Hiob Montag auf VHS habe, sodass du von jetzt an völlig in meiner Hand bist?« Ich machte jetzt wahrscheinlich ein ziemlich dummes Gesicht. An so etwas hatte ich nicht ein Sekunde lang gedacht. Ich Trottel. Der Teufel hatte mich auflaufen lassen wie einen ABC-Schützen. Was für ein bescheuerter Fehler von mir, nicht von Anfang an eine Falle hinter dieser ganzen Eröffnungsscheiße zu vermuten.
    Nachdem sich NuNdUuN lange genug an meiner dämlichen Visage ergötzt hatte, brach er plötzlich in schallendes Gelächter aus und hieb mir wie einem alten Drinking Buddy auf die Schulter. »Nun schau nicht so bedremmelt drein – das war ein Scherz, alter Junge, im wahrsten Sinne des Wortes ein Heiden-Spaß. Ich bin nicht der Teufel aus den Märchen, der mit einem Landwirt um ein paar mickrige Kartoffeln feilscht. Wenn ich dich ficken will, mein Sohn, dann brauche ich dazu keine geheime Videoüberwachung, sondern dann bringe ich dich ganz einfach durch ein Fingerschnippen dazu, mitten durch die Stadt zu latschen und auf einem belebten Platz

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