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Hiobs Spiel 2 - Traumtänzer

Hiobs Spiel 2 - Traumtänzer

Titel: Hiobs Spiel 2 - Traumtänzer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tobias O. Meißner
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neunzehn Jahre tiefer von innen durch die Vulva seiner Mammi zu gleiten.
    Was für eine Sauerei. Splatterpunk ist Rosamunde Pilcher dagegen. Selbstverständlich keine quasireligiöse Erhabenheitsexperience, allerdings auch kein würgendes, pressendes Urtrauma, wie so mancher verklemmte Psychologe uns weismachen will. Das Empfindungsbewusstsein eines Babys ist erstaunlich leer. Warum auch nicht? Bisher ging doch alles in Ordnung, und der kleine Wurm kann ja nicht ahnen, dass es da draußen Winter, Hunger und die Christlich-Demokratische Union gibt. Nein, es fließt ’ne Menge Blut und Schleim, und meine arme Mutter schreit vor Schmerzen, ihre weißen Beine sind schweißnass und verkrampft, und die Nabelschnur bamselt eklig wie Eingeweide aus meinem Bauch, und es ist kalt, und raue Hände zerren und schrauben an meinen weichen Gliedern, die fast reißen möchten, und das hier ist er, der Hauptarzt, die unmoderne Frisur von vor neunzehn Jahren quillt ihm unter der Haube hervor, ich werde gewendet, gedreht, hänge kopfunter, die Nabelschnur verlässt mich wie eine abgesprengte Raketenstufe, und dann kann ich es sehen, für einen langen Moment, in der Erinnerung, mein sich rüpelhaft nach vorne drängender heutiger Bewusstseinsinhalt übernimmt vollends die Kontrolle über die Erinnerung und kann die schwarz auf silbernes Metall geprägten Buchstaben auf dem Namensschild an der Brusttasche des Arztes lesen: DR WOTHE, die Babyaugen gleiten hoch, treffen die mit Lachfältchen konturierten Augen des Arztes und sagen: Sei dir dieses Augenblicks bewusst, du Halbgott in rotbesudeltem Weiß. In neunzehn Jahren von heute an wird dieses Baby, das ein Junge ist, zurückkehren, um dich einer Sache zu opfern, die größer ist als wir – doch wie alle Babyblicke, Babygesten, Babylaute wird auch dieser nicht verstanden, und Hiob Montag, Magier, Spieler, Kunstmaler, Serienkiller, Zeitreisender und real praktizierender Exorzist, ist nur ein weiterer niedlicher Kerl mit rundem Kopf und winzigen Zehen und Fingern.
    Man hat natürlich einen Kater nach so was.
    Aber wie alles andere geht auch der wieder vorbei.
    Hibbelig wie ein Mädchen, dessen Periode ausbleibt, brachte ich die letzten Tage in meiner Klausur zu, bis endlich das heilige Datum erreicht war, an dem ich wieder auf die Menschheit losgelassen werden durfte. Mein Großvater kam runter und wusch und salbte mich mit ätherischen Ölen und schrieb mir hebräische Schriftzeichen auf die Fußsohlen – als wäre ich ein Golem oder so was – und häufte Betverse und mantrische Gesänge über mich und brachte mir was Neues, Einfaches zum Anziehen mit und hatte die ganze Zeit über keine Ahnung, wozu ich jetzt fähig war, zu welchem Behuf ich mich aufmachte.
    Die Sonne war grausam zu mir. Wie ein Vampir kam ich mir vor, krümmte mich unter dem unbarmherzigen Licht. Meine Haut war fahl wie Papier, mit meiner Ausgezehrtheit und den lang gewachsenen Haaren und dem unregelmäßig gewachsenen Fransen-Vollbart eines Neunzehnjährigen muss ich den Leuten draußen wie ein Rasputin im letzten AIDS-Stadium vorgekommen sein. Großvater hatte mir ein paar Zehnmarkscheine in die langnägeligen Klauen gedrückt, davon kaufte ich mir als Erstes eine billige Straßenhändler-Sonnenbrille ohne Strahlenschutzfaktor. Meine zweite koordinierte Handlung führte mich in eine Telefonzelle mit eingeschlagenen und verkokelten Fenstern. Im Telefonbuch suchte ich den Namen »Wothe«, und da fand ich ihn, da stand er einfach so, »Wothe, A., Dr. med.«, und dann seine Adresse und Telefonnummer. Es war so einfach, ich hätte laut loslachen können.
    Ich wusste jetzt, wen und wo und wann – so schnell wie möglich. Das Wie war mir noch nicht klar.
    Irgendetwas Rituelles musste es schon sein. Mein erster Mord – sicherlich nicht mein letzter, so viel war mir damals schon klar – sollte schon irgendetwas mit mir zu tun haben und etwas mit der Erhabenheit des Spiels.
    Ich dachte über Waffen nach. Mein Großvater hat einen guten alten Freund, der einen Antiquitätenladen besitzt, bei dem hätte ich sicherlich einen kultigen Sikh-Krummdolch oder eine echte afrikanische Lanze oder so was in der Art bekommen können. Das hätte dem Mord eine gewisse Größe verliehen, aber mir kam das zu unpersönlich vor, wie ein Weihnachts- oder Geburtstagsgeschenk, das man nicht selbst bastelt, sondern nur kauft.
    Mein Großvater hatte sich als letzte Amtshandlung, bevor er sich der zweifelhaften Obhut der kassenärztlichen

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