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Hiobs Spiel 2 - Traumtänzer

Hiobs Spiel 2 - Traumtänzer

Titel: Hiobs Spiel 2 - Traumtänzer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tobias O. Meißner
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begreifst schon das Gesamtbild. Nicht direkt Frankenstein, aber schon so Richtung Hildegard Knef. Und stell dir die inneren Qualen vor. Sie wird alles verloren haben, was ihr jemals wichtig gewesen ist, nein, nicht nur verloren: Sie wird wissen, dass sie das alles selbst verdorben hat. Sie hätte eine nette ältere Dame mit Enkeln und Konsorten werden können, aber stattdessen wird sie eine Schaubudenattraktion sein für Schreinemakers live . Der natürliche Verfall ihrer Zellen, gepaart mit der bodenlosen Dummheit einer ›Sei schön und halt den Mund‹-Gesellschaft, diktieren ihr schon jetzt den geraden Weg zur Hölle. Das Antlitz der geliebten Tochter ist ein Spiegel, der beim Betrachten schneidet. Und weil das so ist und die ja erst spät geborene Tochter bislang der sonnenstrahlende Mittelpunkt ihres Lebens war, wird nun alles Schmerz und das eigene gelebte Leben ein quälendes Nichts. Spieler Montag, ich kann dir nur sagen: Wie Menschen, denen es eigentlich an nichts mangelt, sich selbst so zerfleischen können, wird uns im Fließ immer ein Rätsel bleiben. Aber wir leben davon, wir lernen daraus, und gäbe es uns nicht, hätte das meiste von dem, was ihr auf Erden so treibt, nicht den geringsten Nutzen.«
    »Und gäbe es uns nicht, gäbe es euch nicht, das weiß ich schon lange.« Hiob hielt sich jetzt mit beiden Armen an Deckenstangen fest, eine Haltung, die der eines quer zur Fahrtrichtung gespannten Gekreuzigten nicht unähnlich war. »Trotzdem«, begann er mühsam, »trotzdem kein Grund, den Status quo zu erhalten. Im Gegenteil. Jetzt sind wir fast durch. Wir haben es fast geschafft, und bis hierhin kann ich nur sagen: Alle Achtung, das habt ihr wirklich tadellos hingekriegt. Es ist euch wirklich gelungen, elf Menschen hier drinnen zu versammeln, an deren Rettung mir kein bisschen liegt. Ich wette, die Zwölf ist der Höhepunkt, der Judas, der mir den Rest geben soll.«
    »Unser trauriger schwarzer Freund hier? Wer weiß?«
    »Spuck’s schon aus.«
    »Was denkst du? Was meinst du? Sieh ihn dir an: schmale, gebeugte Schultern, melancholischer Blick, ärmliche Kleidung. Wofür hältst du ihn?«
    »Ich habe keine Ahnung. Vielleicht ist er so eine Art Bokassa im Exil oder der Sohn von Idi Amin. Ich weiß es nicht.«
    »Tsts, jetzt klingst du wie ein x-beliebiger Rassist, für den alle Neger gleich aussehen.«
    »Mach dich nicht noch lächerlicher, als du in deinem Internatszöglingsanzug ohnehin schon bist, Remmert.« Hiob begann unwillkürlich, an den hängenden Armen ungeduldig vor- und zurückzuschaukeln. »Was ist denn? Worauf wartest du? Warum grinst du? Findest du mich so komisch?«
    Remmert konterte mit zwei Gegenfragen. »Elf Menschen, an deren Rettung dir kein bisschen liegt? Soll das heißen, du wärst bereit, auf den Punkt zu verzichten?«
    »Ich hab dir schon einmal gesagt: Ich entscheide, wenn ich alle zwölf kenne.«
    »Du lügst. Du hast schon entschieden.«
    Hiob brach lauwarmer Schweiß aus. »Halt die Schnauze und rede endlich.« Ein Paradoxon, er widersprach sich plappernd selbst, ihm wurde wieder schwindelig.
    Remmert feixte böse. »Du willst dir wirklich anmaßen, Richter zu spielen, nicht wahr? Du hältst die ersten elf für der Rettung nicht wert. Um deines Stolzes willen denkst du dir: Lass das Fließ doch von mir aus diesen einen beschissenen Punkt haben. Ich werde nicht die Ärmel hochkrempeln, um elfmal Dreck zu absolutieren. Ich habe recht, nicht wahr? Ich habe recht!«
    Hiob schloss die Augen. »Und? Und? Und? Und? Und? Und? Und?«
    »Nichts und. Gar nichts und. Der Schwarze hier ist unschuldig, das ist alles. Er ist ein guter Mensch. Ein politisch verfolgter Anwalt aus Surinam.«
    Hinter Hiobs Augenlidern gab es ein wisperndes Erdbeben. Sein Mund verschob sich, als wären seine Zähne gewachsen.
    Er ließ verschwommen die Stangen los, packte mit einer Hand Remmerts Unterkiefer und drückte ihn mit der anderen gegen eine Fensterwand. Seine Stimme war entsetzlich ruhig. »Erzähl mir keine Scheiße, du Rookie. Ich hab verstanden, worum’s hier geht, ich spiel das Spiel nicht erst seit gestern, verstehst du? Ihr lockt mich an Bord mit der Verheißung, dass ich hier zwölf Menschen das Leben retten kann, weil ihr genau wisst, dass ich so was normalerweise gerne tun würde. Aber ihr habt euch die zwölf Leute gut ausgesucht. Sie sind der Abschaum, genau das Menschenmaterial, das meiner Meinung nach ohnehin ins Fließ gehört. Ihr tut mir einen Gefallen damit, wenn ihr sie mitnehmt.

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