Hiobs Spiel 2 - Traumtänzer
Helmut Kohl schwankt wie King Kong, mit ein paar totgeschüttelten Händen in der Hand. Arbeitslosigkeit. Gegenseitige Bespitzelung wie früher: Warst du bei der Stasi? Sympathisierst du immer noch mit Rot? Sozialverelendung. Bruchlandung. Ächtung. Selbst der Dialekt ist plötzlich hässlich. Henry Maske schlägt sich ganz nach oben durch, doch alle anderen bleiben auf der Strecke. Hört auf zu jammern. Seht, wir schicken euch ein paar Asylanten, damit ihr welche zum Spielen habt, denen’s noch viel schlechter geht als euch. Sieh mal, Pappi, die gelben Menschen brennen auch. Mit dem plötzlichen Tod aller reglementierenden Bevormundung spritzen die Eigenhirne seeigelförmig in alle denkbaren Richtungen auseinander: Fronten tun sich auf. Wo die Sprache versagt, wird die Waffe zum Bruder. Sieh in ihr Gesicht, Spieler Montag. Von ihrem Vater gefingert, von einfach zu merkenden politischen Kampfparolen unter Dampf gehalten, von Skinheadfreunden Klammer auf für Klammer zu voll genommen. Für weibliche Skinheads gibt es viele Bezeichnungen, sie nennt sich einfach Skin. Es ist nicht einmal nötig, sich dafür die Haare zu scheren. Sie ist Skin, hohle Haut mit Reizgas drin. Sie kämpft mit Blut für Boden, sie wird eine deutsche Mutter werden. Wenn es keine Mädchen gäbe wie sie, die den männlichen Skinheads das Gefühl geben, tolle Kerle zu sein, dann gäbe es auch keine Skinheads mehr, so einfach ist das alles. Sie ist die treibende Kraft. Das deutsche bisschen Weib, das gegen räuberische Aggressoren verteidigt werden will. Und wie bekämpft man räuberische Aggressoren? Am besten, indem man sie angreift, während sie noch defensiv sind und sich sammeln. Das ist alles nur ein Spiel, Montag, du und ich, wir wissen das zu schätzen.«
Remmert lächelte ein Lächeln, das ihn ein wenig wie Christian Slater aussehen ließ, vorausgesetzt, Slater würde einmal Batteriesäure als Rasierwasser verwenden. Auch Hiob hatte mittlerweile Ähnlichkeit mit einem beliebten Schauspieler: Christopher Lee in den Schlusssequenzen von Dracula. Elend auf dem Weg zum Häufchen.
Genau auf der anderen Seite saß eine junge Frau um die fünfundzwanzig auf der Bank. Ihre Kleider waren schäbig und ranzig, ihre Haare aber ein reicher Schatz, fast so schön wie bei O. Henry.
»Diese hier ist eine Asylantin, nur im eigenen Land sagt man wohl nicht so dazu. Sie hat kein Zuhause mehr, du kennst den ganzen Sermon. Vom Begatter wegen Schwangerschaft verlassen, von der Familie wegen der beabsichtigten Abtreibung verstoßen, von der Arbeitsstelle während der hinderlichen Schwangerschaft gefeuert, heutzutage geht das dann schnell mit den Mietrückständen. Langweilig. Sie ist halt nicht besonders helle, ist immer beschützt worden, war nie richtig eigenständig. Jetzt hat sie wechselnde Beschützer, fast jede Nacht einen Neuen, damit sie hinterher im Warmen pennen gelassen wird, aber nicht mal das klappt immer, einige schmeißen sie nach dem Erguss auch sofort angewidert wieder raus. Sie versucht, immer wieder auf die Füße zu fallen, aber sie ist halt keine Katze. Sie versucht wirklich, von Drogen fernzubleiben, aber wie soll man den Hunger und die Kälte sonst ertragen? Und vor allem das entblößende Starren der sogenannt Normalen. Das Desinteresse der sich so bezeichnenden Christenmenschen. Den Geiz und den Abscheu der vorüberhetzend sich Abwendenden. Die Nächsten wollen immer nur die Fernsten sein. Nur einer will ihr Liebster werden: Sein Name ist Winter. Er kommt ganz langsam heran, mit der aufreizenden, geschmeidigen Lässigkeit des sicheren Siegers. Er weiß, er wird sie im Sturm nehmen. Es gibt kein Entkommen, wenn die ganze Welt zu Eis gerinnt. Dann wird sie mit Beschützern gehen, die Nieversuchtes an ihr ausprobieren werden, sie wird sich im Eingangsbereich großer Warenhäuser schlafend zusammenrollen, dösen in der U-Bahn. Wenn sie bis dahin nicht zu abstoßend geworden ist, wird sie sich in den Pausen neuer Stücke in die dann eingangs nicht mehr kontrollierten Theater schleichen, um dort in zweiten Hälften beheizte Heimat noch zu finden. Sie wird auf den Entlüftungsrosten von Bäckereien liegen, wenn dort am ganz, ganz frühen Morgen das süßlichschwere Tagwerk beginnt. Sie wird selbst die Motorhauben gerade eingeparkter Autos schätzen lernen. Die Freundschaft bleicher Tiere. Den warmen Atem prügelnder Polizisten. Weihnachtliche Fensterscheiben in den wohlhabenderen Vororten. Die Kleidung von Gestorbenen. Das eigene Blut. Sie
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