Hiobs Spiel 2 - Traumtänzer
ist diejenige von allen hier, die am langsamsten zu uns kommt, Ballett tanzend in fast statischer Zeitlupe, aber unerbittlich gezogen vom Magnetismus des Infernos. Ewig währendes Leid ist ihr gewiss. Aber lass dich nicht täuschen. Ich sehe die Tränen in deinen Augen.«
»Das ... sind ... nur ... die Schmerzen.«
»Ewig währendes Leid. Sie ist deines Mitleids nicht würdig. Sie ist nur eine von Tausenden, und wohl nur zufällig recht ansehnlich. Aber sie ist keine unschuldig Gestrauchelte. Dir ist der merkwürdige Holper in ihrer Schwangerschaftsgeschichte doch sicherlich aufgefallen, natürlich, du bist ja ein mitdenkender Zuhörer. Sie wollte eine Abtreibung. Sie hat sich dann aber nicht getraut, weil ihre Eltern und Schwestern ihr die Qualen dieser Sünde in den drastischsten Farben geschildert hatten. Also wurde sie dick und rund und unbeweglich, also verlor sie ihren Job, also trug sie das Kindlein aus. Und als der kleine blutverschmierte Balg geboren war, erdrosselte sie ihn mit der noch zwischen ihnen bestehenden Nabelschnur. Sie legte die Leiche in einen Römertopf, schob sie in den Herd, briet das Ganze dann fast zwei Stunden lang gut durch, zerteilte den knusprigen Körper säuberlich mit einer Geflügelschere und aß so viel wie möglich davon mit guten Beilagen, denn aus ihr war es gekommen, in sie hinein musste es auch wieder gehen, damit es keine Spuren gab. Die Reste kamen in den Müll, der Schädel gesondert in einer alten Plastiktüte eingepackt zwischen die Fischabfälle vom Vortag. Ganz schon ausgefuchst für eine kleine Schlampe, die die Beine nie zusammenhalten konnte, findest du nicht auch?«
Hiob wurde so schwindelig und übel, dass er sich einen Moment neben die obdachlose Kinds-Esserin setzen musste. Remmert scharwenzelte vor ihm auf und ab, ein ungeduldiger, hochgezüchteter Hahn, ein sicherer Aufsteiger. Um sich keine noch größere Blöße zu geben, hyperventilierte Hiob ein paar mal heftig durch und stand dann wieder auf. »Bringen wir’s hinter uns. Die letzten zwei.«
»Bist du sicher, dass du das durchstehst? Ich meine, das ist ja alles nur ein Service von uns, damit du die Delinquenten richtig schätzen lernen kannst. Du kannst natürlich jederzeit die Hand heben und dich geschlagen geben.«
»Die letzten zwei noch. Ich entscheide dann.«
»Wie du willst.«
Die zweitvorderste Sitzbank. Eine blonde Frau über vierzig, sorgfältig frisiert, ausgesucht gekleidet. Eine attraktive, kleine Frau in den allerbesten Jahren.
»Harmlos im Vergleich zu den anderen, hat dieses kleine Barbiepüppchen hier nur ein Problem: Barbie altert, Barbie kriegt Falten, ihre Euter fangen an zu hängen, Zellulitis frisst sich über Hüften und Schenkel vor. Aber diese alte Zitrone hat noch viel Saft, wie man so schön sagt. Sie ist noch nicht bereit, das Feld zu räumen und die jungen breitbeinigen Hengste mit den ausgewaschenen Jeans über den knackigen Ärschen ganz allein ihrer attraktiven sechzehnjährigen Tochter zu überlassen. Das wäre wie ein Abstellgleis, das wäre wie ein Grab. Die Aufmerksamkeiten von Männern waren ihr ganzes Leben lang ihr größtes Vergnügen, und damit soll jetzt Schluss sein? Nicht doch! Wozu gibt es plastische Chirurgie! Ein wenig Straffen hier, ein bisschen Absaugen dort, heftiges Schälen hier untenherum, Massieren und Cremen da und dort. Dann setzen wir das hier noch ein bisschen um, füllen die Lippen auf, bis sie vor sinnlicher Prallheit fast platzen – du weißt schon, dieses vulgäre Cocksuckergesicht, das sich Dolly Buster und Jennifer Rush haben machen lassen –, färben hier nach, stopfen hier sexy Kunststoffpolster hinein, bis die Brüste wie Fußbälle aussehen, nur glänzender, und das Gekräusel hier wird abrasiert, der jungfräulichen Scham wegen. Radikal. Die eigene Tochter wird sie nicht mehr wiedererkennen. Und sie wird sich ins Zeug legen. Mit dem Mundgeruch und dem bitteren Schweiß einer Fünfzigjährigen wird sie sich von zwanzigjährigen Galanen zureiten lassen, die es einfach klasse finden. Dann wird hier etwas verrutschen, das eine oder andere Silikonkissen wird beginnen, unter der Haut zu wandern, Narben werden anfangen zu eitern und dann zu faulen. Kunstgewebe heilt nie wirklich. Die Rückenschmerzen vom Gewicht der Brüste. Osteoporose beschleunigt, bis in normaler Körperhaltung ihr entstelltes Gesicht auf den Knien aufliegt. Verschiedene Hautfarbenflächen bei einer einzigen Frau, welch Wunder des Antirassismus. Ich denke, du
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