Hiobs Spiel 2 - Traumtänzer
Während Hiob in Jeans, Socken, Schuhe, X-Files -T-Shirt und grauen Schlabberpullover schlüpfte, verließ Ince mit seinen beiden Begleitern die Wohnung.
Kamber konnte nicht mehr an sich halten. »Tolle Idee mit dem PKK-Spruch!«, platzte er heraus. »Ich liebe es, meine Eier am Grillspieß rösten zu sehen.«
»Selber schuld. Ich hab dir gesagt, du sollst nicht rumerzählen, wer ich bin.«
»Was sollte ich denn machen? Shit, Ince gehört so gut wie zur Familie. Und er hat echt magischen Bullshit am Hals mit seinem Sohn. Wenn man mich fragt, erwartest du da, dass ich sage, ich wüsste niemanden, der helfen kann?«
»Springt für dich denn was bei raus?«
Kamber zuckte die Achseln. »Respekt vielleicht. Der Ruf von jemandem, den man fragen kann, wenn man Probleme hat.«
»Sieh mal einer an. Ich hab immer gedacht, der ganze türkische Mafiaklüngel geht dir am Arsch vorbei. Kein Mitglied mehr der Black Community?«
»Doch. Na klar. Aber manchmal muss ich auch an meine Familie denken. Ich habe Verantwortung, weißt du. Es kann ja nicht jeder so ein hedonistischer Drifter sein wie du. Eine Viertelmillion! Bist du bekloppt, Mann?«
»Ich hab’s immerhin versucht. Wenn meine beschissene Vorhaut nicht zweihunderttausend Mark wert gewesen wäre, hätte es geklappt.«
»Träum weiter. Fünfzigtausend sind verdammt viel mehr, als du jemals für irgendeinen Job bekommen hast.«
»Stimmt. Mir ist auch schon ganz zitterig.«
Hiob ging mit Kamber rüber in das halbe Zimmer, das sozusagen als Atelier fungierte und in dem auch die Bilder des Malers Irazoqui herumstanden. Während Hiob ein leeres DIN A-2-Blatt Papier auf den Boden legte und mit einem in einem schmutzigen Pinselglas ausgerührten Pinsel einen farblos-schmutzigen Wasserkreis zog, nahm Kamber eines der aus dunkelblauen, sich überschneidenden Dreieckflächen bestehenden Bilder auf und betrachtete es interessiert. »Mal wieder was verkauft?«
»Feininger gibt sich Mühe. Aber es geht nur selten was weg. Ich bin nicht trendy.«
»Dein Fehler ist, dass du dich nicht oft genug in der entsprechenden Society zeigst. Man muss sich regelmäßig auf Vernissagen oder so was sehen lassen, um als Maler was zu werden.«
»Schon möglich. Ist mir ziemlich egal, ehrlich gesagt. Ich mach das ja nur nebenbei. Damn, ich hasse diese Schnellverbindungen.« Mit einer Nadel hatte Hiob sich alle fünf Fingerbeeren der linken Hand aufgestochen und drückte die fünf wachsenden Blutflecken in den Wasser-Papierkreis. Die Verbindung kam knisternd zwischen Elle und Speiche seines linken Armes zustande. »Ja?«, sagte Hiob laut, seine eigene schmerzende Hand anstarrend. »Ist dort Gevicius? Ja, richtig, Montag. Hören Sie ... was? ... hören Sie, ich kann Sie sehr schlecht verstehen ... ich habe hier einen gewissen Aydin Ince ... Kamber, wie buchstabiert man das denn?«
Kamber gab die Buchstabenfolge vor.
»A-Y-D-I-N-I-N-C-E, hier in Berlin. Ein Schlafwandler im internen Sinne. Ich möchte gerne ... ja, genau ... nein, nein ... das werde ich jetzt tun ... gut ... ja, nur ob das geht als Prognosticon ... wie bitte? ... gut, ja, in einer Viertelstunde oder so, ich achte darauf. Vielen Dank, Richterin.«
Als er die fünf Finger vom Papier losriss, brach der schon gebildete Schorf wieder auf. Solche Fingerspiele waren der Albtraum jedes Pianisten.
»Ist nicht bei der Telekom angemeldet, dieses Telefon, möchte ich wetten?«, fragte Kamber.
»Sicher nicht. Aber die Gebühreneinzugszentrale, die für so was zuständig ist, ist noch eine Spur weniger zimperlich mit säumigen Zahlern.« Er lutschte sich das Blut von den Fingern und deutete mit der anderen Hand auf das Bild, das Kamber immer noch in Händen hielt. »Gefällt’s dir? Dann schenk ich’s dir. Es heißt ›Baudelaires Gast‹. »
Kamber lächelte und stellte das Bild wieder ab. »Ich hab mehr Bilder von dir zu Hause hängen als Bootlegs von Bootsy-Collins-Gigs.«
Auf dem Weg nach unten erzählte Kamber seinem Kumpel in eindrucksvollen Worten von dem nagelneuen Chris-Whitley-Album Din of Ecstasy und der Unverfrorenheit, mit der ausgerechnet ein Bleichgesicht offensichtlich den Blues in den Neunzigern für sich alleine beansprucht. Ein psychedelisches Blues-Album für die Ewigkeit, ein einziger Starkstromexzess etc etc. Hiob konnte den Whitley zwar auch einigermaßen leiden, Kambers Emphase ging ihm aber denn doch ab.
Auf der Straße zwängte sich die versammelte Beschnittenenbrigade in einen einzigen Wagen, der aber
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