Hiobs Spiel 2 - Traumtänzer
angemessener Feierlichkeit Abschied von einem Mann, der die zweifelhafte Fähigkeit besaß, wichtige Dinge zu verlieren.«
»Und sie auch wiederzufinden?«, hakte Astrid nach.
»Nein«, lachte Hiob. »Wirklich verlorene Dinge findet man niemals wieder. Würde man das tun, wäre man enttäuscht, wie wertlos sie doch waren. Dieser Mann lässt die abgefuckte Vergangenheit ruhen und konzentriert sich darauf, in Zukunft niemals wieder irgendetwas zu verlieren. Er hat diese Erfahrung gemacht, fand sie beschissen, lernt daraus und lehnt eine Wiederholung von jetzt an einfach ab. Auf den Spieler!«
Die vier anderen sahen sich ratlos an, weil keiner von ihnen auch nur die geringste Ahnung hatte, wovon Hiob da eigentlich redete, aber sie waren Rätselhaftigkeit von ihm gewohnt. Sie hatten nicht das Rüstzeug, sich Hiobs manischem Grinsen weit genug zu widersetzen, um nicht eine Stimme im Chor abzugeben.
»Auf den Spieler!«
Prognosticon 7: Veidts Tanz
Wer den menschlichen Körper studiert,
für den ist die Beharrlichkeit der Gesundheit
ein stetiges Wunder:
Was sollen wir da von unserem Gehirnapparat halten,
der alle vierundzwanzig Stunden
den Schlagschatten seines verdunkelten Verstandes betritt?
Ist es nicht wundervoll,
dass jeden Morgen beim gesunden heiligen Licht der Sonne
auch die Intelligenz unversehrt aus ihren nächtlichen
Finsternissen und Gespenstern auftaucht?
(Paul Groussac: El viaje intelectual)
a) Erwachen
Hiob hatte einen merkwürdigen Traum.
Er sah einen Mann sitzen auf einem schwarzsteinernen Thron, gekleidet in wallende, noble Gewänder von der Farbe angelaufenen
Silbers. Der Mann saß breitbeinig da, lässig, lächelnd, auf seinem Schoß lag quer ein schwarzes Metall- oder Steinzepter, das unregelmäßige Verzierungen und Verzweigungen aufwies. Das Haar des Mannes war lang bis mindestens zur Brust, dunkel, aber durchzogen von silbernen Strähnen. In seinem linken Auge trug er ein gelbes Monokel, und obwohl dadurch dieses Auge einen Gelbstich hätte bekommen müssen, leuchteten beide Pupillen in derselben Farbe: Türkis. In diesem Moment erkannte Hiob sein etwa zwanzig Jahre älteres Selbst. Während er, gebannt von seinem eigenen Charisma, sich selbst anstarrte, glitt die Sichtperspektive in rasender Fahrt zurück durch die Thronhalle, die nicht eigentlich eine Halle in einem großen Palast war, sondern vielmehr ein Raum in einem hölzernen Haus, dessen düstere Winkel und Fußböden wimmelten von unnennbaren machtvollen Kreaturen, die alle nur einem einzigen Willen gehorchten. Das Haus kam Hiob vage bekannt vor, aber bevor die Kamerafahrt zurück weit genug gediehen war, dass er die Fassade sehen und den Eindruck, in dem Haus schon mal gewesen zu sein, bestätigen konnte, wurde er dadurch aus dem Traum gerissen, dass eine Hand sich mit fünf gespreizten Fingern auf seine Brust legte und dreimal sachten Druck ausübte.
Das war nicht möglich. Hiob wohnte allein, und aufgrund seines Vertrages mit Widder nahm er niemals Frauen mit nach Hause.
Er schlug die schlafverklebten Augen auf und sah einen im graublauen Zwielicht des Morgens verschwommenen Schemen über sich gebeugt. Links und rechts seines Bettes standen fremde Männer in Mänteln, die Hände in den Manteltaschen.
Er schlug die Unterarme über dem Gesicht zusammen, um sein Nasenbein zu schützen, und nuschelte schlaftrunken: »Es ist nicht nötig, mich zu schlagen, Mister. Ich komme freiwillig mit. Geben sie mir nur noch eine Minute, wieder zu mir zu kommen.«
Er war gerade dabei, sich fieberhaft einen magischen Trick zu überlegen, mit dem er die Bullen blenden und entkommen konnte, als eine vertraute Stimme sagte: »Ich dachte immer, ich wäre derjenige von uns beiden, der auf der Flucht ist.«
»Kamber?«
»Ja, na klar. Was ist denn los mit dir? Du hast auf unser Klingeln nicht reagiert, auf unser Klopfen auch nicht, und jetzt erkennst du mich nicht mehr? Hast du wieder irgendwas eingeschmissen, was selbst bei der Love Parade auf dem Index steht?«
Hiob nahm die Arme vom Gesicht und begann langsam klarer zu sehen. Kamber stand über ihm, sehr hellblaue Jeans und ein dicker schwarzer Pullover. Die anderen drei Männer jedoch, Türken in teuren, konservativen Mänteln, waren Fremde. Hiob versuchte sich daran zu erinnern, was er letzte Nacht getrieben hatte. Er hatte verdammt noch mal weder Drogen noch Gift genommen. Widder war auch nicht da gewesen. Wahrscheinlich war er beim Channel-crossing aus Versehen in eine deutsche
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