Hiobs Spiel 2 - Traumtänzer
behauptete, in einer gelben Kirche in der Nähe von Manila gäbe es einen Gegenstand – nämlich die Nabelschnur des Christuskindes –, der es einem ermöglichen sollte, eins mit einem oder einer anderen zu werden. Andere Quellen wiederum behaupteten, dass es speziell für Traumreisende in den Tempelruinen von Pachacámac einen Gang gebe, von dem insgesamt vierhundertundzwei Türen abzweigten: eine für jeden Traum, der gerade geträumt wird. Das Durchschreiten der gesuchten Tür, die wärmer sei als die anderen, bringe einen in den gewünschten Traum. Wieder andere Quellen verwiesen auf einen alten Mann, der unter dem Namen Paavik in einem kleinen finnischen Dorf lebe. Wenn man ihn fände und ihn mit seinem richtigen Namen – welcher da lautet: Caedmon – anspräche, würde dieser Mann sich in ein Fenster verwandeln, und man könnte durch es hindurch in den Traum seiner Wahl steigen. Die absurdesten Quellen schlugen sogar vor, man sollte sich neben den Träumenden legen und schlafen und selbst träumen, und alles andere werde sich schon finden.
So richtig klickte das alles für Hiob nicht ein. Am meisten überzeugte ihn noch, dass es bestimmte Gegenstände gäbe, die durch irgendeine Art und Weise mit traumatischer Energie geladen seien und einem dadurch einen Einstieg in einen Radikalträumer ermöglichen könnten. Von solchen Gegenständen – unter anderem Kopfkissen und Nachtgewänder, bei denen die Verbindung zum Träumen naheliegend und einleuchtend war – gab es in einem Buch mit dem Titel Traum & Tod & Troja eine Liste. Mit diesem Buch unte dem Arm suchte Hiob seinen Freund Moritz Wagsal auf.
Wagsal besaß einen geheimnisvollen Laden voller Antiquitäten und okkulter Paraphernalia in der von solchen Läden geradezu wimmelnden Flughafenstraße. Darüber hinaus war er ein auch international anerkannter Sammler des Esoterischen und Versponnenen, stets im Grenzland zwischen ironischem Spaßmachertum und ernsthafter magischer Auseinandersetzung schwebend. Dabei war Wagsal schon selbst mittlerweile so was wie eine Antiquität: Er war fünfundsiebzig Jahre alt, hatte aber den Elan und den Lebensstil eines Mittvierzigers. Wie aus seinem Alter zu schließen war, war er ein guter Freund von Hiobs Großvater Tharah. Gemeinsam hatten die beiden als junge Adepten weiland eine Menge Unheil angerichtet und für so manchen Aufruhr in den magischen Gefilden gesorgt. Aus dieser Zeit rührten auch die Spitznamen der beiden alten Kämpen: der Heilige, das war Wagsal mit seinem Witz und seiner ausgeprägten Unfähigkeit, andere Menschen zu übervorteilen, und der Unheilige, das war Tharah Montag mit seiner Grimmigkeit und seiner Entschlossenheit, wenn schon nicht sich selbst, dann doch wenigstens seinen Enkel auf den Thron der Weltmagie zu setzen.
Wagsal, der trotz seines vorgerückten Alters auf jegliche Ladenhilfe verzichtete, war gerade dabei, eine Ladung ritueller Holzfiguren aus dem Senegal einzusortieren, als Hiob bei ihm aufkreuzte.
»Heiliger? Ich hab ein kniffliges Problem.«
»Das sind die einzig wahren. Worum geht’s, mein Junge?«
»Ich brauch einen Schlüssel oder einen Trichter oder eine Wendeltreppe, um den Traum von jemandem zu betreten, den das Mare Tenebrosum verschluckt hat.«
»Das Mare Tenebrosum ? Dann solltest du deine Schwimmweste nicht vergessen.«
»Wir werden sehen. Sieh mal, ich hab hier eine Liste von Gegenständen gefunden, die eventuell geeignet wären. Hast du was davon auf Lager oder weißt, wo ich’s auftreiben könnte?«
Wagsal nahm das Buch, wog es in Händen, drehte es um und um, schnupperte daran und blätterte darin herum. Immer wieder vertiefte er sich auch in die Liste von Traumschlüsseln, aber sein runzliges Gesicht wurde zusehends runzliger dabei. Schließlich blinzelte er Hiob ins gespannte Gesicht. »Weißt du, das Buch ist ziemliche Scheiße, muss ich dir leider sagen.«
Hiob machte dicke Backen. »Was Besseres hab ich nicht gefunden.«
»Das ist Mumpitz für Tele-Evangelisten, wenn du mich fragst. Mit so einem Schlüssel kriegst du vielleicht das Gefühl, in einen fremden Traum einzusteigen, in Wirklichkeit jedoch projizierst du nur dein eigenes Unterbewusstsein auf den Träumenden. Was da mit einem, der im Traumwasser festhängt, passieren kann, brauch ich dir ja wohl gar nicht erst auseinanderzusetzen.«
»Er ertrinkt oder wird von einem Mahlstrom zerrissen.«
»Ja, oder ein paar kleine Hiob-Piranhas machen sich über ihn her. Nein, was du brauchst, ist kein
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