Hiobs Spiel 2 - Traumtänzer
zugegebenermaßen sehr ausladend war. Nachdem sie etwa zehn Minuten unterwegs gewesen waren, erhielt Hiob den schmerzhaften Rückruf von Eidry Gevicius und verspritzte ein bisschen Fingerblut auf Autopolster und teure Mäntel. Die Türken nahmen es mit abendländischer Gelassenheit, was Hiob das Gefühl geben sollte, dass sie ihn beim nächsten Affront kurzerhand häuten würden. Aber die Schiedsrichterin hatte ihm eben über das Bluthandy ihr Okay gegeben, dass Ince Junior als Prognosticon sieben Gültigkeit gewonnen hatte, also war Hiob während der Fahrt in Gedanken eher bei NuNdUuN und der kürzlich abgeschlossenen Wette als bei ein paar miesepetrigen fundamentalistischen Drogenhändlern.
Viel gab es nicht mehr zu sehen im Vororthaus von Neriman Ince. Ein bisschen Luxus, der den Postmaterialisten Hiob aber reichlich wenig zu beeindrucken vermochte, zwei Gespielinnen, die schon eher was fürs Auge waren, aber den mit Treuegelöbnis an Widder gebundenen Hiob ebenfalls amtlich kalt lassen mussten, zwei etwa im Alter der Gespielinnen befindliche weniger ansehnliche Töchter und ein aus seiner Junggesellenwohnung heimgeholter Sohn, der mit weit aufgerissenen Augen in einer kleinen Bettkammer im Koma lag und dabei fortwährend aus den Mundwinkeln sabberte. Senderpirat Kamber segelte in gefährlichen Wassern, als er einer der Gespielinnen Komplimente machte und sein blendendes Aussehen ein wenig ausspielte. Hiob dagegen ließ ein bisschen den großen Voodoo-Heiler raushängen und doktorte mit großer Geste an dem Sabbernden rum. Dabei – und nach ein paar fachlichen Fragen zum Ernährungs-, sonstigen Gesundheits- und allgemeinem Lebensstil des Patienten in den Tagen vor und ganz besonders dem Tag vor der verhängnisvollen Nacht – erhielt er immerhin einen ausreichenden Eindruck von Aydins Situation, um seine ursprüngliche Theorie bestätigt zu sehen: Der junge Erbe eines etablierten, interkulturellen Schmugglerimperiums hatte tief genug geschlafen, um irgendwo in den unerforschlichen Schründen des Unterbewusstseins entweder nachhaltig verloren zu gehen oder aber sogar zu zerschellen. In letzterem Fall gab es keine Rettung mehr, und Vater Ince musste sich wohl mit dem Gedanken vertraut machen, seinem Sohn barmherzig die Kugel geben zu müssen, denn sicherlich wollte er keinen hoffnungslosen Pflegefall auf Lebenszeit irgendwo in einer Anstalt herumliegen haben. Falls aber die Seele Aydins noch irgendwo im Traumgestrüpp zu finden war, so würde – und das gelobte Hiob jetzt feierlich vor versammelter Familie – der Magier Montag sie befreien und zurückholen. Dafür würde er aber mindestens ein paar Tage Zeit brauchen, vielleicht sogar eine Woche.
Neriman Ince erklärte sich einverstanden. Der Vertrag mit den 50.000 DM wurde bei Tee und klebrigsüßem Gebäck aufgesetzt. Die Gespielinnen lächelten dazu.
Nachdem Hiob seine klebrigen Finger an den teuren Sesselbezügen abgewischt hatte und vorausgegangen war, entschuldigte sich Kamber noch einmal lächelnd für seinen Freund: »Er ist ein Ungläubiger, er ist verrückt, und er kennt keinen Respekt. Aber er ist wenigstens kein Rassist: Egal, was für eine Hautfarbe, Kultur oder Religion jemand hat – Hiob behandelt ihn mies.«
Ince nickte betrübt.
Hiob und Kamber gingen das in Aussicht stehende Geld begießen.
b) Sammlung
Als Erstes brauchte Hiob einen Schlüssel, der ihm den Eintritt in Aydins Traumreich eröffnen konnte.
Eine ausgedehnte Materialrecherche in der Familienbibliothek unter dem Dreifaltigkeitsfriedhof förderte zutage, dass es verschiedene Möglichkeiten gab, sich in die Traumzeit eines anderen einzuklinken. Verschiedene Arten von Drogen konnten einen dazu bringen, dass man auf der Inneren Frequenz der anvisierten Person zu schwingen begann. Monotone Didjeridoo-Musik war ziemlich hilfreich für eine Versenkungs-Trance. Man konnte auch versuchen, den Träumenden so zu hypnotisieren, dass er seine Erlebnisse quasi live zu kommentieren begann, und anhand der so gewonnenen Informationen ihn zu dirigieren versuchen. Man konnte Sex mit dem Schlafenden haben und das eigene Sperma als Sonde durch seinen Körper und dann durch seine Träume schicken. Es war möglich, sich selbst durch multiple Traumebenen zu zappen, um zu versuchen, auf gut Glück irgendwann die richtige zu treffen und dort hängen zu bleiben. Es wurde auch vorgeschlagen, über eine Séance Kontakt mit dem alttestamentarischen Traumdeuter Mordechai aufzunehmen. Eine Quelle
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