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Hiobs Spiel 2 - Traumtänzer

Hiobs Spiel 2 - Traumtänzer

Titel: Hiobs Spiel 2 - Traumtänzer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tobias O. Meißner
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kniete Denjiro Murakami sich vor dem Grabmal des Anführers der Siebenundvierzig Samurai, Oishi Yoshio Kuranosuke, in einer Geste der Demut nieder und verharrte so abwechselnd betend und meditierend für mindestens zwei Stunden. Der Straßenlärm des Bezirks Takanawa und von der großen Daiichi-Keihin-Straße war in diesen Stunden matt und hohl und ganz vereinzelt, selbst der nahe Hafen und die Eisenbahnwucherungen schwiegen mit leise zischendem Atem.
    Vor Murakamis geistigem Auge zog sie wieder herauf, die heroische Epoche der Tokugawa, als Tokyo noch Edo hieß, als die Männer noch nicht mit Aktenköfferchen und Brille und Anzug und Krawatte herumrannten, sondern dem Bushido folgten und sich mit der Anmut von Todbewussten bewegten. Als Prinzipien nicht durch Geld und Technizismus verwässert waren, sondern die Konfrontation von Mann gegen Mann noch den Sieg erwies. Nippons Glanzzeit, das Zeitalter einer heroischen Kultur, die auf dem ganzen weiten Erdenrund nie ihresgleichen gekannt hatte und die jetzt abgeschliffen und verdunkelt worden war, zum Zerrbild, zur Beute von Grabschändern, zur nationalen Schmach.
    Murakami wusste, dass sein herausragender Daimyo ihn bei sich aufnehmen würde, wenn seine Rüstung erst vollendet war und er sein eigenes Wappen besaß; dass er so von einem Ronin zu einem echten Samurai aufsteigen würde, vielleicht selbst ein General werdend oder ein Großfürst, nicht aufgrund seines Blutes, das von den Untersten der Untersten stammte, sondern wegen seiner weithin gerühmten Tapferkeit und Kampfkraft, die allen Zwang der Herkunft zunichtemachte, und dass er die Erfüllung seines Diensts und seiner Treue finden würde, wenn der Daimyo ihm gestattete, für ihn zu fallen.
    Murakami war ein Burakumin, er stammte aus den Tokyoter Slums, sein Erbe war das von Tierschlächtern und Leichenwäschern und verwucherten Gestalten, die in schleimigen Kellern Unaussprechliches schufteten, und dennoch strebte er nach dem Licht. Seine Seele war groß.
    Nachdem er aus dem Areal des Tempelbezirks wieder hinausgeschattet war, machte er sich im langsamen Erwachen des städtischen Infernos zu Fuß auf zum nur etwa einen Kilometer entfernten Universitätsbezirk. Er hatte noch etwa anderthalb Stunden Zeit, sich in dieser Kleidung durch Tokyo zu bewegen und zu jagen, ohne Gefahr zu laufen, deshalb von Schwächlingen verhaftet zu werden.
    Bei seiner ursprünglichen Veröffentlichung – der Song war immerhin schon über zwei Jahre alt – war er Hiob irgendwie entwischt, weil er außer den Reblin-Trips Kambers eigentlich kein Radio mehr hörte, aber seit er den vietnamesischen Film Cyclo gesehen hatte, war Creep von Radiohead einer seiner zwei Lieblingssongs.
    Untrennbar verbunden mit einem melancholischen Dichter, der einen weiß gekleideten Mann ersticht, der wiederum, unfähig, das Leben aufzugeben, unabbringbar auf einen Abgrund zukriecht, sowie mit einem blaugefärbten Jungen, der, einen sterbenden Goldfisch zwischen den Lippen, sich selbst ins Herz schießt, um zu spüren, wie viel Leben da noch in ihm ist, schepperte Hiob das Lied Tag und Nacht erbarmungslos durch die Gegend, bis auch der nervenstärkste seiner Nachbarn weinend gegen die Wände schlug. Der Text I wish I was special, so fucking special, but I’m a creep, I’m a weirdo, what the hell am I doing here, I don’t belong here war eine zwei Jahre zu spät erhaltene selbsterfüllende Prophezeiung, die sich längst erfüllt hatte.
    Wenn er malte, während draußen weniger als minus zehn Grad jedes Dasein zur einwärts gekrümmten Projektion machten, benutzte er noch sein zweites, artverwandtes, ebenfalls spastisch zwischen bittersüßer Melodik und verzerrter Watt-Gewalt hin- und herzuckendes Lieblingslied, Only in Dreams von Weezer, unbarmherzig wiederholt, mit enormer Lautstärke, um sich zu bilderstürmerischen Hochleistungen anzuputschen. Die kleine Wohnung war so überheizt, dass Hiob nur mit labberigen Boxershorts bekleidet in ihr herumstorchen konnte, mit verzerrtem Gesicht, die Mähne schüttelnd, Luftgitarre spielend, während eine mit unverschnittenem Heroin gefüllte Injektionsnadel ihm einsteckend in die linke Armbeuge geschnallt war. Er liebte es, den Schuss in lauter kleinere Fraktale zu zersplitten, es immer wieder fast kommen zu lassen, aber dann wieder schweißtropfend abzuchillen. Tagelang konnte er das treiben, während er ein Bild malte, ganz aus dreidimensional tiefem Kobaltblau, ein paar Flecken von schmutzigem Weiß und

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