Hiobs Spiel 2 - Traumtänzer
Goghs einen runterholten oder aber biederen Karaoke zu westlichen Schlagern sangen und dabei so viel Sake soffen, dass sie speiend zusammenbrachen. Murakami hatte angefangen, vor Hass regelrecht zu zittern. Er hatte gebetet, dass es kommen würde, das große Erdbeben, wie bereits zu der Zeit, als seine Großeltern noch Kinder gewesen waren und das Aufbäumen der planetaren Kruste 140.000 nutzlose Menschen abgeschüttelt hatte. Ja. Komm, du viel größeres Zittern, und mach alles dem Meer gleich, deck zu das verlorene Gesicht meines Volkes mit epileptischer Gnade und gib uns nach Jahrzehnten der Schande endlich unseren Frieden.
Während seines politisch orientierten Studiums war er zu der Überzeugung gelangt, dass alles mit der Kapitulation Japans nach dem Zweiten Weltkrieg angefangen hatte. Hätte der Tenno damals und mit ihm das ganze japanische Volk die Größe besessen, kollektiven Seppuku zu begehen, so, wie es eigentlich beschlossen und versprochen worden war und wie es eigentlich hätte sein müssen, dann wäre das Land der aufgehenden Sonne in allen Geschichtsbüchern der Erde als Heimat der Krieger aufgenommen worden. Stattdessen tanzte man Twist, fettete sich die Haare und verfiel dem Suff und der Hurerei. Eine gewisse Sympathie empfand Murakami für Yukio Mishima mit seiner Privatarmee und seinem Körperdrill- und Geschichtsbewusstsein, aber über eine gewisse Sympathie konnte diese Zuneigung nicht hinausgehen. Letzten Endes war Mishima ja auch nur eine verdammte Schwuchtel gewesen, und damit ebenfalls Ausdruck für die Dekadenz, die die Nation zerfraß.
Denjiro Murakami war zweiundzwanzig Jahre alt gewesen, als er, enttäuscht darüber, dass keiner von seinen Freunden ihn verstand, geschweige denn mit ihm gleichziehen wollte, fast sein gesamtes zusammengespartes Geld dafür ausgab, sich einen Katana und einen Wakizashi – die klassische Samurai-Kombination aus Lang- und Kurzschwert – aus erstklassigem und wirklich gebrauchsfähigem Material zuzulegen. In den folgenden vier Jahren hatte er sich zwar von seinen auf ihn stolzen, hart und unwürdig schuftenden Burakumin-Eltern weiterhin das Geld für sein Studium zahlen lassen, hatte aber kaum noch Vorlesungen besucht, und wenn, dann nur, um zu stören, sich über die »Geschwätzigkeit der Ehr- und Tatenlosen« lustig zu machen und ein »Sich-Gegenseitig-Auffressen« der politischen Parteien zugunsten eines »neu erstarkenden und notweniger denn je werdenden« Kaisertums zu prophezeien. Unter verschiedenen Lehrmeistern und in verschiedenen Dojos eignete er sich Kenntnisse im Vollkontakt-Karate, im eher tänzerischen Kata, im mit dem Shinai, dem Bambusschwert, geführten Kendo und der daran anschließenden echten Schwertkunst der Niten-ichi-ryu-Schule an. Niten-ichi-ryu ist die Schule der zwei Himmel und lehrt das Kämpfen mit je einem Schwert in gleichzeitig beiden Händen. Nachdem Murakami die Lehren des Schwertkampfs so weit durchdrungen hatte, dass ihm das zen-buddhistische Leere- und Nicht-Wollen-Geschwätz der Lehrmeister eher wie ein Ablenken von der Unmittelbarkeit des rauschhaften Blutvergießens vorkam, erklärte er sich selbst zum Ronin und erlegte sich auf, den Weg des Kriegers makellos inmitten einer feindlich gesonnenen High-Tech-Welt verfolgen zu müssen und einen Herren zu finden, für den zu sterben den Tod wert war.
In seiner Anfangszeit als Ronin – da war er 27 Jahre alt – bemühte er sich, so viel von seinem verhassten Burakumin-Blut wie möglich in exzessiven Schlachten mit Straßengangs zu verlieren. In seinem Stadtviertel Asakusa wurde er bekannt, weil er sich in der zwar zerschlissenen, aber dennoch authentischen Kluft eines herrenlosen Samurais wirre, ritualisierte Gefechte mit den begeistert drauf einsteigenden, meistens viel besser – oder aber auch gar nicht – bewaffneten Jugendlichen lieferten, die die Ladenstraße Nakamise und das umgebende Rotlichtviertel als ihr Revier betrachteten. Höhepunkt war ein mitternächtliches Duell unter der einhundert Kilo schweren, roten Papierlaterne am Tor des Donners des Senso-ji-Tempels. Vier junge Kerle, die zu einer dieser neumodisch kamikazemäßig aufgedonnerten Motorradgangs gehört hatten, versprühten zischend ihr Blut in dieser Nacht, und Denjiro selbst wurde so schwer angeschossen, dass ihn auch der magische Weihrauch der Gnadengöttin Kannon nicht heilen konnte. Einzig die weissagenden Tempeltauben hielten zu ihm – sie deckten seinen Rückzug mit ihrem Geflatter, und
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