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Hiobs Spiel 2 - Traumtänzer

Hiobs Spiel 2 - Traumtänzer

Titel: Hiobs Spiel 2 - Traumtänzer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tobias O. Meißner
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zwei verfeindete Banden verloren seine Spur.
    Ihm wurde klar in den Wochen des Fiebers, dass er eine Rüstung brauchte, eine, die nicht nur Schwerthieben standhalten konnte, sondern auch den feigen Geschossen, die die modernen Japaner anstatt der Schwertkunst verwendeten. Und da er ein Ronin war, ein Wie die Wellen Wandernder, und da er begierig war zu töten und dafür zu sterben, trat der Fürst der Acht Banner zu ihm hin, der Kriegsgott Hachiman, und unterbreitete ihm einen goldenen Plan.
    Keine normale Rüstung konnte es sein, etwa im Toseigusoku-Stil. Das war zwar ehrwürdig und traditionell, aber Denjiro war eben nicht nur ein Verfechter von Traditionen, er war auch ein Erneuerer und ein Rebell, ein Einsamer, und einzigartig musste auch seine Rüstung sein. Er trug mit sich die acht Banner der Wut, der Verachtung, der Geringschätzung, des Hasses, des Zorns, des Ekels, des Widerwillens und der Überwindung. Hachiman – so gewaltig, dass er fast aus den Beschränkungen des Zimmers platzte – beschrieb ihm mit der Stimme einer galoppierenden Rossherde eine Rüstung, die so magisch und so kraftvoll war, dass selbst modernste Kugeln sie nicht durchdringen konnten. Das Geheimnis dieser Rüstung war das Material, aus dem sie gefertigt wurde: menschliche Stirnknochenplatten – der stabilste und abweisendste Knochen, den das menschliche Skelett vorzuweisen hat –, in menschliches Blut getaucht, bis sie die dunkelrote Farbe von Rost angenommen hatten, und dann durch Metallketten und Lederbänder miteinander und am Körper verschnürt. Fünfundzwanzig Stirnplatten waren dazu nötig: eine für die Stirn, sechs für die Brust, drei für den Rücken, eine für die linke Schulter, eine für die rechte Schulter, eine für den linken Oberarm, eine für den rechten Oberarm, eine für den linken Unterarm, eine für den rechten Unterarm, eine für die Genitalien, zwei für den linken Oberschenkel, zwei für den rechten Oberschenkel, eine für das linke Knie, eine für das rechte Knie, eine für das linke Schienbein und eine für das rechte Schienbein. Der finstere Gott zeigte ihm Planungsskizzen der Rüstung, wunderbar schwarze Tusche auf blendend weißem Pergament. Zum Abschied dröhnte ihm Hachiman noch so etwas wie »Erweise dich der Götterwelt würdig, dann wird die Götterwelt dich lieben« mitten in die Seele hinein und lachte ein Lachen wie das Losbrechen des Sommermonsus. Denjiro Murakami weinte vor Glück. Stundenlang. Er hatte seinen Daimyo gefunden, und dieser Daimyo war ein Gott.
    Als er wieder so weit gesundet war, dass er gehen konnte, ohne dass ihm das Augenlicht wegblieb, machte er sich an die Erfüllung der göttlichen Weisung. Er veränderte seine Taktik, war jetzt nicht mehr darauf bedacht, sich in möglichst ausschweifenden Farben einen Ruf als Krieger und Gegner der verwestlichten Yakuza aufzubauen, sondern wurde zum Schattenkämpfer, zum Ninja. Im Schutz der zwölf Zwielichter ging er seinen Tätigkeiten nach. Er nährte sich von den Schatten der Achtlosen. Er verlegte seine Operationsbasis in eine ungenutzt an einen Tiefgaragenkomplex angrenzende Kammer im Wolkenkratzerviertel Shinjuku. Im Vergnügungsviertel Kabuki-cho konnte er auf die Jagd gehen. Er tötete nur junge, kräftige Männer, deren Stirnplatten am stabilsten waren. Manchmal schlug er ihnen zwischen Mülltonnen den Kopf ab, nahm diesen dann mit nach Hause und verarbeitete ihn dort in aller Ruhe. Manchmal hieb, sägte, stemmte und brach er aber auch schon an Ort und Stelle den das Gehirn schützenden Knochen aus der Leiche. Ihn kümmerte es nicht, was die Polizei dachte oder was die Zeitungen für blumige Namen für ihn erfanden. Er war auf dem Weg zu einer ganz neuen Form des Bushido, er wusste, dass an dem Tag, an dem er die fünfundzwanzigste Platte mit den anderen verband, magisch-göttliche Energie ihn und die Rüstung durchströmen und erfüllen und einen Samurai aus ihm machen würde, der selbst einen Vergleich mit dem legendären Miyamoto Musashi nicht zu scheuen brauchte.
    Nicht alle seiner Opfer wurden überhaupt gefunden. Zwei versenkte Denjiro selbst in einem Teich des Shinjuku-Gyoen-Gartens, drei weitere vermoderten unvermisst auf dem weitläufigen Bahnhofsgelände, und mindestens zwei wurden gegessen, bevor sie gefunden werden konnten. Ob von Tieren gegessen – und wenn ja, von welchen –, erfuhr auch Denjiro nie.
    Tokyo ist eine 12-Millionen-Menschen-Stadt. Das Sterben von achtundzwanzig Personen über einen Zeitraum von

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