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Hiobs Spiel 2 - Traumtänzer

Hiobs Spiel 2 - Traumtänzer

Titel: Hiobs Spiel 2 - Traumtänzer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tobias O. Meißner
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sieben Monaten hinweg schlägt Wellen, die vergessen sind, bevor sie noch das Ufer erreichen. Achtundzwanzig Opfer waren es deshalb, weil einer von Denjiros Auserwählten eine von außen nicht erkennbare Stirnknochenprothese aus Kunststoff gehabt hatte, und weil Denjiro ein anderes Mal von den drei angetrunkenen Kumpeln eines Opfers erwischt wurde, als er gerade dabei war, die zäh schmatzende Stirn das Toten abzuziehen. Einmal mehr zahlten sich seine Schwertfertigkeiten aus: Er trennte den dreien die Rümpfe auf, bevor sie ihn auch nur richtig sehen konnten, und während ihnen schreiend sämtliche Innereien entglitten und sich zu einem stinkenden, unentwirrbaren Unrat vermengten, und während die Ratten herbeischwärmten, um den Festschmaus zu beginnen, beendete er sein Sammlerwerk in aller Ruhe. Die Stirnen der drei Überflüssigen interessierten ihn nicht. Er suchte und wählte aus nach strengen Kriterien und in einem ernsthaften Ritual. Ein Samurai hebt nicht auf, was er am Wegesrand findet, ja, er nimmt solches nicht einmal wahr.
    So hatte er bei achtundzwanzig Opfern vierundzwanzig verwendbare Stirnplatten erbeutet, die bereits derart kunstvoll angebohrt und miteinander verknüpft in seiner mönchischen Katakombe lagen, dass er sie jederzeit hätte anlegen können. Aber eine fehlte noch, die abschließende, diejenige, mit der er seine eigene Stirn schützen wollte, die tatsächliche Verdopplung von Schutz und Mannhaftigkeit also, und solange diese eine noch fehlte, so lange trug er auch die anderen nicht, denn es würden nur Knochen sein von altblutiger Farbe, noch keine magische Rüstung.
    Gestern, einen Tag nachdem er wieder im Sengakuji-Tempel meditiert und sich anschließend in dem Viertel, in dem er früher studierte, die vierundzwanzigste Stirn erbeutet hatte, war Hachiman ihm wieder erschienen. Gleißend und laut, sodass er ihn kaum hatte erkennen geschweige denn verstehen können, hatte er ihm von einem Fremden aus dem Westen, einem Gaijin, erzählt, der kommen würde, um ihn zu vernichten. Lächelnd hatte Denjiro genickt.
    Ein echter Gegner. Endlich.
    Wenn ein Gaijin die Stirn hatte, ihm die Stirn zu bieten, würde er die Stirn dankend annehmen. Ein würdevoller Schlussstein würde es sein. Danach würde die Rüstung sich um ihn schließen wie Amidas heiliges Licht, und das Jodo, das Reine Land, würde sich dem Samurai Murakami mit der verführerischen Zögerlichkeit einer jungfräulichen Geliebten erschließen.

3. Tatakai
    (Die Darstellung der Konfrontation)
    J eder, der bis heute geglaubt hat, William Gibsons Erzählung »New Rose Hotel« sei eine freie Erfindung, sollte endlich aufwachen und erwachsen werden.
    Das Erste, was Hiob sah, nachdem er in Narita gelandet und mit der Bahn in den Moloch Tokyo hineingefahren war, waren die in den verzweigten Bahnhofshallen aufgebauten New Rose Hotels , übereinandergetürmt aufeinandergesteckte Containerzimmer von 2,20 Meter Länge und etwas über einem Meter Breite und Höhe. Es gab Licht, eine Klimaanlage, ein Telefon und einen kleinen Fernsehmonitor in den Dingern, man hatte ein kleines numeriertes Schränkchen vor der Faltwand nach draußen, bezahlte durch Münzeinwurf und musste über eine Leiter in die oberen Lagen aufentern. Da das alles Hiobs Vorstellungen von einer unterhaltsamen Nacht ziemlich nahekam, quartierte er sich gleich im dritten »Stockwerk« eines solchen Kapselhotels ein.
    Anschließend – es war zwar schon abends, aber mit dem Ladenschluss hat’s ja nur Deutschland so richtig vermasselt – suchte er die örtliche UPS-Dependance auf und förderte aus seinem teuren Postfach die Granate zutage, die er so stoßsicher wie möglich in einem dieser neuen, für den Granatenversand geradezu idealen Buddel -Paket-Sets der Gelben Post verpackt hatte. Auf dem Weg zu Fuß zurück zur Kapselhotelhalle wunderte sich Hiob angesichts des irrwitzigen städtebaulichen Chaos aus neonübertünchten Legostein-Kalamitäten, dreifach übereinandergestapelten Hochstraßen, Bahnbrücken und steilen, abrupten Kanaleinschnitten, warum Katsuhiro Otomo in seinem Epos Akira Tokyo eigentlich am Anfang von einer Megabombe zerstören lässt, um seine Vision von Neo-Tokyo hochzuziehen. Wenn Hiob versuchte, Tokyo fünfunddreißig Jahre in die Zukunft hochzurechnen, kam das mit Otomos Neo-Tokyo auch ohne vorherige Bombe tadellos hin. Aber vielleicht hatte Otomo ja auch, wie der Hamburger Waffenschmied es genannt hatte, »ein bisschen gutes altes radioaktives Trauma«

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