Hippolyt Hermanus 01 - Vino Criminale
Akribisch waren die Diebstähle der Weintransporte aufgelistet, die in den letzten Wochen allesamt in Norditalien erfolgt waren. Er konnte Talhammers Versicherung, die in Mailand ansässig war, gut verstehen. Es machte keinen Spaß, für diese Verluste aufzukommen – vor allem, wenn sich die Serie fortsetzen sollte.
Hipp las zum wiederholten Mal die Polizeiprotokolle, danach die Angaben in den Versicherungspolicen. Merkwürdig, dass Weintransporte aus ganz unterschiedlichen Regionen betroffen waren, aus der Toskana, dem Friaul, Veneto, der Lombardei und jetzt schon zum zweiten Mal aus dem Piemont. Jedes Mal waren die kompletten Lastwagen geklaut worden, die ausnahmslos Weine von Spitzenwinzern geladen hatten. Die Liste las sich wie das
Who is who
der italienischen Wein-Elite: Unter anderem die Tenuta San Guido*, Castello Banfi*, Isole e Olena*, Fattoria di Felsina*, Marchese Antinori* aus der Toskana. Im Veneto zum Beispiel Masi*, Allegrini*, Maculan*, Bertani*, Pieropan*. Im Friaul – er hätte es sich denken können – unter anderem Vinnaioli Jerman* und Livio Felluga*. Und aus dem Piemont natürlich Angelo Gaja*, Domenico Clerico*, Bruno Giacosa*, Pio Cesare* … Zumindest war klar, dass mit diesen Diebstählen nicht der Massenmarkt bedient wurde. Gut möglich, dass die Weine für Amerika bestimmt waren, oder sie gingen nach Asien, auch Russland kam in Frage. Dürfte schwierig sein, hier eine Spur zu finden, dazu war alles zu professionell durchgeführt worden.
Hipp legte die Mappe zur Seite, um Platz für die Agnolotti zu machen. Sahen köstlich aus, mit einer feinen Soße, die nach Salbei duftete. Er nahm einen Schluck vom Chardonnay, sehr angenehm. Er würde sich morgen bei Fabri für die Empfehlung dieser Osteria bedanken.
Während er eine Teigtasche zerteilte und in den Mund schob, dachte er darüber nach, wie schwierig es war, diese Diebstähle zu organisieren. Die Bande tauchte an den unterschiedlichsten Plätzen auf, das Timing war jedes Mal perfekt, alles lief wie am Schnürchen. Es gab keine sichtbare Verbindung zwischen diesen Aktionen. Es waren verschiedene Transportunternehmen betroffen, die Fahrer schienen sich untereinander nicht zu kennen. Auch bei den Lieferadressen gab es keine Übereinstimmungen. Wo also war die Verbindung? Irgendeine musste es doch geben. Hipp stutzte. Natürlich, eine gab es, diese war für jeden offensichtlich.
Er aß die Agnolotti auf, nahm sein Handy aus der Tasche und versuchte Maresciallo Viberti auf dem Polizeirevier in Alba zu erreichen. Zu seiner Überraschung war er sogar zugegen. Viberti beklagte sich, dass er Spätschicht hatte. Wo er doch im Castello von Cavour zum Abendessen eingeladen sei. Das Schicksal meine es einfach nicht gut mit ihm. Hipp sprach ihn auf den Diebstahl der Weinlieferung an, an dem ihr gemeinsames Mittagessen gescheitert war. Warum er sich dafür interessiere, wollte der Maresciallo wissen. Hipp erzählte von Talhammer, von seiner Versicherung, zu der auch eine Compagnia d’assicurazione in Mailand zählte. Und dass er gerade eine Mappe mit allen Ermittlungsunterlagen neben seinem Teller liegen habe.
»Sagten Sie gerade Teller?«, unterbrach ihn Viberti. »Sind Sie etwa beim Essen?«
»Ja, in einer vorzüglichen Osteria in Turin.«
»Das hätten Sie nicht sagen dürfen, Sie quälen mich«, jammerte der Maresciallo.
»Tut mir Leid, das lag nicht in meiner Absicht. Ich hätte eine Frage …«
»Was gibt es zu essen?«
Hipp merkte, dass er schon wieder in die Falle gegangen war. Pflichtschuldigst antwortete er: »Agnolotti …«
»Mit Hackfleisch- oder Gemüsefüllung?«
»Ich würde sagen, mit beidem.«
Hipp hörte, wie der Maresciallo stöhnte. »Und danach?«
»Ich möchte Sie nicht noch mehr quälen.«
»Machen Sie nur, ich bin ein kulinarischer Masochist.«
»Risotto mit Radicchio und danach Brasato al Barolo.«
»Buonissimo!«
»Ich würde gerne von Ihnen wissen, wie viele derartige Überfälle es in der letzten Zeit gegeben hat?«, versuchte Hipp auf den Grund seines Anrufes zurückzukommen.
»Und zum Dessert vielleicht Panna cotta?«
»Ich habe mich noch nicht entschieden.«
»Doch, Panna cotta passt sehr gut, am besten mit frischen Frutti di bosco und einer feinen Himbeersauce. Übrigens bin ich nicht befugt, Ihre Frage zu beantworten, bei aller Wertschätzung Ihrer Person.«
Erstaunlich, dachte Hipp, dass der Maresciallo dann doch immer die Kurve zum eigentlichen Thema fand.
»Habe ich mir schon gedacht«,
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