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Hippolyt Hermanus 01 - Vino Criminale

Hippolyt Hermanus 01 - Vino Criminale

Titel: Hippolyt Hermanus 01 - Vino Criminale Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Böckler
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Geschmacksnerven wirken, die Duftaromen von innen in die Nase aufsteigen.
    »Ich weiß auch nicht, was mit mir los ist«, sagte sie, nachdem sie den Wein schließlich hinuntergeschluckt hatte. »Ich erinnere mich an diesen Duft ganz intensiv, er ist mir so vertraut, als ob er mich mein ganzes Leben begleitet hätte. Er weckt Assoziationen, ich sehe einen Weinkeller mit vielen Fässern. Wie kann das sein? Das ist doch nur ein Wein?«
    »Die beiden anderen Gläser, ja, das sind nur Weine, übrigens keine schlechten, einer aus Piemont, einer aus der Toskana. Aber im zweiten Glas, das ist nicht nur ein Wein. Sie haben sich zum ersten Mal wirklich an etwas erinnert. Das ist ein Cabernet Sauvignon aus dem Weinkeller Ihres Vaters. Diesen Wein macht er, seit Sie auf der Welt sind. Sie sind mit diesem Geruch groß geworden.«
    »Warum kann ich mich an den Geruch eines Weines erinnern, aber an kein einziges Bild?«
    »Weil Gerüche etwas ganz Besonderes sind. Ihre Erinnerung geht viel tiefer und reicht weiter zurück als optische Eindrücke. Wenn Sie einverstanden sind, möchte ich noch etwas probieren.«
    »Darf ich die Weinflasche behalten?«
    »Aber natürlich. Trinken Sie ein Glas, bevor Sie einschlafen. Mal sehen, wie sich das auf Ihre Träume auswirkt. Jetzt machen Sie bitte erneut die Augen zu und geben Sie mir Ihre linke Hand.« Hipp holte ein weißes Fläschchen aus der Tasche, öffnete es und verrieb einige Tropfen auf Sabrinas Handrücken. »Und nun riechen Sie an Ihrer Hand.«
    Sabrina führte ihre Hand an die Nase, zuckte zusammen, roch so intensiv daran, wie sie nur irgend konnte, versuchte den Duft auf ihren Wangen zu verteilen – und begann zu weinen.
    Hipp sagte kein Wort und wartete ab. Er sah, wie sie etwas flüsterte. Weil er ahnte, was sie sagen wollte, verstand er es.
    »Daddy«, flüsterte Sabrina, und immer wieder: »Daddy.«
    »Er hat dieses Aftershave schon benutzt, als er Sie als Baby im Arm gehalten hat«, erklärte Hipp. »Und er nimmt es bis heute. Ich habe lange suchen müssen, bis ich es in Turin gefunden habe.«
    Hipp reichte Sabrina ein Taschentuch.
    »Ich erinnere mich daran, wie mein Vater riecht«, sagte sie und wischte sich die Tränen von den Wangen.
    »Wir machen Fortschritte.«

19
    D ie Osteria L’Oca Fola* in der Nähe des Turiner Gerichtsgebäudes hatte ihm Fabri empfohlen. Hipp saß im großen Speisesaal der »Verrückten Gans« an einem kleinen Ecktisch und studierte die typisch piemontesische Speisekarte. Vor ihm stand ein Teller mit Crostini, die man ihm als Antipasto unaufgefordert serviert hatte – geröstete Weißbrotscheiben, abwechselnd belegt mit Geflügelleber und klein gehackten Tomaten, dazu ein Glas mit trockenem Spumante. Ja, hier schien er gut aufgehoben. Nur schade, dass Sabrina nicht bei ihm sein konnte. Er hätte gerne mit ihr auf ihre Genesung angestoßen. Unglaublich, wie schnell sie sich von dem Unfall erholt hatte. Zumindest physisch – und alles andere würde sich finden. Dies im wahrsten Sinne des Wortes, denn ihre Erinnerung war nicht verloren, davon war er fest überzeugt, sie war allenfalls gut versteckt, man musste sie nur suchen.
    Risotto, Gnocchi, Pasta e fagioli … Die Wahl fiel schon bei den Primi Piatti schwer. Er entdeckte auf der Karte das Symbol einer Schnecke. Ihm fiel die Slow-Food-Bewegung ein, die im Piemont Ende der achtziger Jahre von Carlo Petrini als Gegenentwurf zum modernen Fast Food gegründet wurde und immer mehr Anhänger findet. Im Zeichen der Schnecke propagieren Feinschmecker die Wiederbelebung kulinarischer Traditionen. Sie geben heimischen Produkten den Vorzug und pflegen eine Esskultur ohne Hektik. Sozusagen eine gastronomische Wiederentdeckung der Langsamkeit. Das kam seinem persönlichen Lebensgefühl ziemlich nahe. Auch bei Sabrina machte es rein therapeutisch wenig Sinn, aufs Tempo zu drücken. Mit kleinen Schritten kamen sie am sichersten voran.
    Als der Ober erschien, entschied sich Hipp spontan für Agnolotti*, gefüllte Teigtaschen. Danach ein Risotto mit Radicchio. Aber bitte nur eine kleine Portion. Und als Secondo den berühmten piemontesischen Rinderbraten, in Wein geschmort – Brasato al Barolo*. Ob er zu den einzelnen Gerichten jeweils einen dazu passenden »vino raccomandato dalla casa« trinken wolle? Aber sicher, glasweise ausgeschenkter Wein auf Empfehlung des Hauses war selten schlecht. Das ersparte ihm den Blick in die Weinkarte. Stattdessen schlug er die Mappe auf, die er von Talhammer bekommen hatte.

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