Hippolyt Hermanus 01 - Vino Criminale
konzentrieren.
Vielleicht täuschte er sich, und es war doch ein Unfall? Oder Viberti hatte Recht, und es war ein Raser, der danach Fahrerflucht begangen hatte? Oder irgendjemand aus dem Umfeld von Eva-Maria und Sabrina hatte sich einen schlechten Scherz erlaubt, wollte ihnen einen Schrecken einjagen und hatte sie dabei versehentlich von der Straße gedrängt?
Es gab viele Möglichkeiten, allzu viele. Es wurde Zeit, dass er diese reduzierte, schließlich wollte er zurück in seinen Liegestuhl. Und da gab es noch diese Mappe, die er sich von Talhammer hatte schicken lassen, mit den Informationen zu den Weindiebstählen. Hier waren Profis am Werk, das sah man auf den ersten Blick. Wo war ihre Schwachstelle? Da man ihn nicht in Ruhe ließ, war es schon egal, ob er noch über ein weiteres Problem nachdachte.
Eine Stunde später standen sie auf der großen Terrasse der Tenuta del Leone. Die Trauergemeinde hatte sich nur unwesentlich reduziert. Wie vermutet war der blonde Mann auf der Strecke geblieben. Und einer jener potentiellen Stronzi, die er ins Auge gefasst hatte, und zwar jener, der vor der kleinen Kapelle gestanden hatte. Hipp ging zu Fabri, nahm ihn am Ellbogen und zog ihn zur Seite.
»Darf ich Sie etwas zu den Trauergästen fragen?«
»Ich kenne selber nur die wenigsten«, antwortete Fabri.
»Was ist mit Giovanni Martino, Eva-Marias Exfreund aus Castellina?«
»Er ist nicht mehr da.«
»Aber er war hier, unten auf dem Friedhof?«
»Ja.«
»War das der kräftige junge Mann, der alleine vor der Kapelle stand?«
»Vor der Kapelle? Richtig, ich glaube, dort habe ich ihn gesehen. Woher wissen Sie, dass das Giovanni war?«
»Weil er jetzt nicht mehr bei uns ist.« Hipp rief sich das Bild von Giovanni in Erinnerung. Zirka einsachtzig groß, muskulös, wahrscheinlich Sportler, schwarze Haare, lange, spitz zulaufende Koteletten.
»Wollen Sie noch was wissen?«, fragte Fabri.
»Ja. Da war ein großer blonder Mann, den Luca Pertini wohl lieber nicht auf dem Friedhof gesehen hätte …«
»Sie meinen den Tedesco, ein Deutscher, ich glaube, er heißt Lausitz oder so ähnlich. Er besitzt ein Weingut hier in Montalcino. Sein Brunello ist gar nicht mal schlecht.«
»Warum kann ihn Luca Pertini nicht ausstehen?«
»War das so deutlich zu sehen?«
»Absolut, nicht nur, dass er ihm den Handschlag verweigert hat, er ist sofort auf Distanz gegangen, was bei einer Trauerfeier mehr als ungewöhnlich ist. Und auch die Körpersprache war eindeutig.«
»Sie sind ein außergewöhnlich guter Beobachter. Zufällig weiß ich, warum Luca den Tedesco nicht mag. Eva-Maria hatte mir schon davon erzählt, und gerade erst«, Fabri deutete auf die Terrasse, »hat man darüber gesprochen. Der Tedesco möchte Luca unbedingt die Tenuta del Leone abkaufen. Luca denkt nicht im Traum daran. Aber dieser Deutsche will das nicht wahrhaben und übt ziemlichen Druck auf ihn aus. Genaueres weiß ich nicht. Aber Luca hasst den Mann.«
»Und Eva-Marias Mutter würdigt ihn keines Blickes«, fügte Hipp hinzu.
»Ich war gestern bei Sabrina im Krankenhaus«, wechselte Fabri das Thema.
»Ich weiß, sie hat es mir erzählt.«
»Immerhin kann sie sich daran erinnern«, sagte er erfreut.
»Sie kann sich an alles erinnern«, erwiderte Hipp, »von dem Augenblick an, in dem sie nach dem Unfall aus dem Koma erwacht ist.«
»Sabrina hat mir gesagt, dass Sie als ehemaliger Polizeipsychologe heute private Ermittlungen durchführen. Stimmt das?«
»Gelegentlich mache ich das, richtig.«
»Wir haben uns ja schon über meinen Vater unterhalten und über die möglichen Gründe, warum er uns plötzlich verlassen hat. Meine Mutter und ich würden ihn gerne finden, mit ihm sprechen und ihn überreden, wieder zurückzukommen, nach Hause, zu seiner Familie und zu seinem Wein.«
»Das kann ich gut verstehen.«
»Können Sie uns dabei helfen? Haben Sie Erfahrung mit Menschen, die sich plötzlich davonmachen?«
»Wie jener sprichwörtliche Mann, der zu seiner Frau sagt, er gehe nur schnell Zigaretten kaufen? Nein, mit solchen Fällen habe ich keine Erfahrung. Tut mir Leid. Außerdem geht mir momentan schon genug durch den Kopf, jedenfalls für einen Mann, der eigentlich im Urlaub ist.«
18
S abrina und Hipp saßen auf einer Bank im Parco del Valentino, der nicht weit vom Krankenhaus entfernt lag. Sabrina ging es gut, sie freute sich auf den morgigen Tag, an dem sie endlich aus dem Hospital entlassen werden würde. Ihrem Vater hatte sie am Telefon noch
Weitere Kostenlose Bücher