Hippolyt Hermanus 01 - Vino Criminale
es wohl richtig, Diskrepanzen schon im Ansatz auszuräumen. »War es nötig, Bill nach dem Testament meines Vaters zu fragen? Das war weder charmant noch in irgendeiner Weise zum Ziel führend.«
»Nein, charmant war es nicht. Sollte es auch nicht sein. Tut mir Leid, wenn es dich gestört hat.«
»War es nötig?«, wiederholte sie.
Hipp dachte nach. »Ob etwas nötig war, weiß man oft erst hinterher. Leider überlagern sich durch unser permanentes Zusammensein …«
»Das ich trotz meiner Kritik als durchaus angenehm empfinde.«
»Vielen Dank. Leider überlagern sich zunehmend therapeutische Zielsetzungen, die deiner Erinnerung auf die Sprünge helfen sollen, mit dem Interesse, den Fall aufzuklären, hinter die Motive zu kommen und den Schuldigen zu finden.«
»Den Schuldigen?«
»Ja, denjenigen, der euer Auto von der Straße gedrängt und damit Eva-Marias Tod verschuldet hat. Mit Vorsatz oder aus Leichtsinn. Der Schwester Margherita vergiftet hat. Der dir womöglich nach dem Leben trachtet. Unterstellt, es handelt sich in jedem Fall um dieselbe Person. Männlichen oder weiblichen Geschlechts. Um das herauszufinden, muss ich gelegentlich uncharmante Fragen stellen. Apropos …«
»Ja?«
»Auch ich empfinde unser Zusammensein als überaus angenehm.«
»Das haben wir beide aber schön formuliert. Sehr distanziert.«
Hipp schmunzelte. »Die Sprache spiegelt nicht immer die wahren Gefühle wider.«
Sabrina zog eine Augenbraue nach oben. »Was uns erneut zu Bill bringt. In seinem Fall war deine Sprache jedenfalls sehr direkt. Fast könnte man glauben, du hieltest ihn für verdächtig.«
»Warum nicht? Jeder ist verdächtig.«
»Das ist doch absurd«, reagierte Sabrina leicht aufgebracht. »Wir haben einen gemeinsamen Vater, Bill war zur Zeit meines Unfalls in Amerika, und während des Giftanschlags, der womöglich mir gegolten hat, in London. Er ist geschäftlich erfolgreich, hat kein Interesse am Weingut, profitiert nicht von meinem Tod. Er hat also, wie es so schön heißt, weder ein Motiv, noch hatte er die Gelegenheit zur Tat. Ergo war es nicht nötig, ihn so hart anzugehen.«
»Mag sein. Ich bitte um Entschuldigung, wenn ich deine Gefühle verletzt habe.«
»Nachdem Bill von der Liste der Verdächtigen gestrichen ist, können wir …«
»Ist er nicht!«
»Wie bitte?«
»Eigentlich lasse ich andere Menschen ungern an meinen Überlegungen teilhaben, die ja häufig hypothetischen Charakter und nichts mit Sympathien zu tun haben. Aber am Beispiel Bill möchte ich mal darlegen, wie leicht man sich täuschen kann.«
»Da bin ich aber neugierig.«
»Kein Motiv und keine Gelegenheit zur Tat? Irrtum, mein liebe Sabrina. Ich habe, während du gestern Nachmittag schliefst, einige Recherchen angestellt. Du erinnerst dich an meine Frage nach dem Wetter in London? Nun, die Tage vorher hat es tatsächlich geregnet, aber gestern Morgen schien in London die Sonne von einem wolkenlosen Himmel, und es war schwülwarm. Da hat Bill schon mal eine falsche Auskunft gegeben. Woraus man den Schluss ziehen könnte, dass er gar nicht aus London gekommen ist. Tatsächlich war auf keinem Flug gestern Morgen von London nach Mailand ein Bill Valentino gebucht. Was aber nichts zu besagen hat, es ist schwierig genug, an die Passagierlisten heranzukommen, und sie sind auch nicht immer korrekt. Aber es könnte immerhin sein, dass dein lieber Bruder schon seit längerer Zeit in Italien weilt – und vielleicht immer noch hier ist, denn auch über New York nach Los Angeles war sein Name auf keiner Passagierliste.«
»Das ist allerdings wirklich seltsam. Aber er hat trotzdem kein Motiv.«
»Ich wusste, dass in London schönstes Wetter war, weil ich vor unserem Treffen im Fernsehen auf dem Zimmer kurz BBC laufen hatte …«
»Ich erinnere mich.«
»Also wurde ich misstrauisch und habe kurz entschlossen nach dem Testament gefragt, um seine Reaktion zu testen. Er hat, wie ich mittlerweile von deinem Vater weiß, nur die Hälfte erzählt. Es stimmt, dass du neunzig Prozent erbst und er zehn Prozent. Aber falls du vor Bill stirbst, so steht es im Testament, bekommt er neunzig Prozent, der Rest geht an eine gemeinnützige Organisation. So etwas nennt man gemeinhin ein Motiv.«
»Das ist kein Motiv«, suchte Sabrina nach einer Entlastung. »Bill ist beruflich erfolgreich und am Weingut nicht interessiert.«
»Richtig, das hat er uns erzählt. Ist dir aufgefallen, dass er uns dabei nicht angesehen hat? Weil er nämlich gelogen hat!
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