Hippolyt Hermanus 01 - Vino Criminale
kleinen Hotel beim Campo dei Mori war. In einer guten Stunde wollten sie mit ihrer ganz persönlichen Giro de ombre beginnen. Schließlich kannten sie Gianfrancos Vorliebe für Weinschenken, dort hofften sie am ehesten eine Spur von ihm zu finden. Während sich Luciana hinlegte, um sich von der strapaziösen Anreise zu erholen, verabschiedete sich Fabri, um das Internet-Café aufzusuchen, von dem die anonyme E-Mail abgeschickt worden war. Zurück im Hotel berichtete er seiner Mutter, dass dort ein solcher Trubel herrsche, Rucksacktouristen aus Amerika, eine Gruppe Studenten aus Bologna, dass sich jede Frage nach dem Absender der E-Mail erübrigt habe. Außerdem, was half es, wenn sie herausfanden, wem Gianfranco in Venedig begegnet war? Wahrscheinlich war es irgendjemand aus ihrem entfernteren Bekanntenkreis.
Von früheren gemeinsamen Aufenthalten, die aber schon länger zurücklagen, kannte Luciana einige traditionsreiche Bàcari, die Gianfranco besonders mochte. Ihr Weg führte sie zum Al Baco* an der Fondamente delle Cappuccine, zum Do Spade*, in dem schon Casanova einzukehren pflegte, und natürlich zum Do Mori*, dem wohl bekanntesten Bàcaro von Venedig in der Nähe vom Mercato di Rialto.
Überall sprachen sie mit den Wirten, zeigten ein Photo von Gianfranco – vergeblich. Luciana erzählte, dass sie mit Gianfranco ihren zehnten Hochzeitstag in Venedig gefeiert habe, damals, als die Welt noch in Ordnung war und der Himmel voller Gondeln hing. Auf Fabris Frage, wo sie damals gewohnt hätten, nannte sie das altehrwürdige Luxushotel Danieli. Ja, früher, da habe Gianfranco sie noch auf Händen getragen.
Einige Minuten später standen sie an der Rezeption in der beeindruckenden Empfangshalle des Danieli*. Luciana stockte fast der Atem, als sie hörte, dass tatsächlich vor einigen Tagen ein Gianfranco Angelo ein Zimmer reserviert hatte. Er sei dann aber nicht gekommen, sodass sie die Stornogebühren von seiner Kreditkarte abbuchen würden, die Nummer habe er bei der Reservierung durchgegeben. Fabri nahm seine Mutter in die Arme. Es war ein seltsames Gefühl, dem eigenen Vater und Ehemann hinterherzuspionieren. Aber immerhin, sie hatten ein erstes kleines Erfolgserlebnis. Auch wenn Gianfranco, was die Unterbringung betraf, offenbar kurzfristig umdisponiert hatte. Ohne vorher abzusagen, was früher nicht seine Art gewesen wäre.
Sie fuhren hinauf zur Dachterrasse des Danieli, tranken Espresso und dachten über ihre weiteren Schritte nach. Wo könnte er stattdessen gewohnt haben? Behutsam deutete Fabri die Möglichkeit an, dass Gianfranco nicht alleine nach Venedig gereist sein könnte, dass er vielleicht in weiblicher Begleitung … Zu seiner Überraschung reagierte seine Mutter relativ entspannt. Dass Gianfranco ihr nicht treu gewesen sei, das habe sie schon seit langem gewusst. Luciana sah hinüber zur Klosterkirche San Giorgio Maggiore. Sich bekreuzigend sagte sie, dass sie Gianfranco diese Fehltritte vergeben habe, schweren Herzens. Non commettere adulterio, du sollst nicht ehebrechen, in nome del Padre, del Figlio, dello Spirito Santo! Fabri dachte laut darüber nach, wo sein Vater mit einer Freundin in Venedig hingehen könnte. Dass er der E-Mail nach gleich zwei Frauen im Schlepptau hatte, verschwieg er diskret.
»In Harry’s Bar*«, sagte Luciana plötzlich. »Ganz bestimmt. Dort ist er auch mit mir hingegangen, als wir noch jung und verliebt waren. An der Bar Bellini trinken, neben sich eine Frau, das gefällt ihm, da kommt er sich vor wie Hemingway.«
Fabri zahlte und stand auf. »Also dann, gehen wir zu Harry’s Bar.«
»Geh du und frag. Ich habe zu viele Erinnerungen. Wir treffen uns im Caffè Florian, einverstanden?«
Fabri nickte, gab seiner Mutter einen Kuss und machte sich auf den Weg. Luciana sah wieder hinüber nach San Giorgio Maggiore. Auch dort war sie mit Gianfranco gewesen. Sie erinnerte sich an den Kreuzgang des Klosters – und an Tintorettos Bild mit Christus im Kreise seiner Jünger. Währenddessen eilte Fabri an der Seufzerbrücke vorbei, am Palazzo Ducale, über die Piazzetta mit den beiden monolithischen Säulen. Venezianer vermieden es, zwischen ihnen hindurchzugehen, denn hier wurden früher die Todesurteile vollstreckt, das brachte Unglück.
Luciana, die an einem der Tische vor dem Caffè Florian* wartete, sah ihrem Sohn schon beim Näherkommen an, dass seine Nachforschungen Erfolg hatten. War Gianfranco wirklich in Harry’s Bar gewesen? Hatte sie mit ihrer Vermutung
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