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Hirngespenster (German Edition)

Hirngespenster (German Edition)

Titel: Hirngespenster (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ivonne Keller
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unserem letzten Zusammentreffen, sondern so wie bei unserer ersten Begegnung: von einer belustigten Überlegenheit. Wie sie aussah, konnte ich mir nicht vorstellen, hatte immerzu mein eigenes Konterfei vor Augen. Er und ich an der Bar. Mich juckte es in den Fingern, einen Ausflug in die Innenstadt zu unternehmen; im Übrigen musste ich sowieso mit den Kindern an die frische Luft. Ich überlegte. Was, wenn er tatsächlich dort saß? Konnte ich einfach so im Hotel aufkreuzen? Ich dachte an Matthias' Schock, als Anna bei Giovanni erschienen war – im Hausanzug. Ein Säugling und ein anderthalbjähriger Junge konnten bei Jens' Gegenüber vermutlich einen ähnlichen Eindruck hinterlassen. Noch während ich darüber nachdachte, ob ich sollte oder nicht, stand ich im Flur und zog mir die Jacke über. Nils lief mir hinterher und zerrte an seiner Jacke am Kinderhaken, erfreut, dass es rausging. Ole packte ich in seinen Fleeceanzug, und kurz darauf befand ich mich im Hausflur, legte Ole in den Wagenaufsatz, platzierte Nils in seinen Sitz auf dem Kinderwagen und drückte ihm eine Mandarine in die Hand, damit er beschäftigt war.
    Ich konnte auch in die Innenstadt gehen, das Fleming's zu meiner Rechten liegenlassen und etwas bei Kaufhof besorgen. Natürlich würde ich nicht ins Hotel gehen. Auf keinen Fall.
    Doch als das Fleming's auftauchte, zog es mich wie an einer unsichtbaren Schnur zu seinem vertrauten Eingang. Zum ersten Mal nahm ich den Fahrstuhl nach oben, nicht den Paternoster, stieg aus, schob Oles Wagen durch den Eingang zur Bar und wünschte im selben Augenblick, ich wäre zu Kaufhof gefahren und hätte mir einen neuen Still-BH gekauft. Mein Herz klopfte bis zum Hals, so stark, dass ich dachte, es reiße mir die Brust auf. Jens saß an der Bar. Und er war nicht allein.

    Mich lässt hier übrigens auch keiner allein, es sei denn, sie bringen mich in mein Zimmer, das sie neulich in bunten Farben gestrichen haben – zur psychischen Aufmunterung. Mich muntert es weniger auf, ich würde lieber an meinem alten Schreibtisch sitzen und einen Artikel schreiben – wenn ich wenigstens einen Stift halten könnte –, aber davon kann ich nur träumen. Ständig ist die Rede von Feinmotorik, und wir fahren jetzt in eine neu gegründete Gruppe – man betreibt wieder mal Erfahrungsaustausch –, aber die meisten dort kriegen noch weniger auf die Reihe als ich. Dort üben wir solche wichtigen Sachen wie das Fangen von Bällen zum Beispiel; aber meine Hände sind zu nichts zu gebrauchen, kommen nie gleichzeitig bei diesem doofen Ball an. Früher war ich Rechtshänder, heute gelingt mir mit keiner Hand mehr etwas. Wie sagt man so schön: zwei linke Hände. Genau so ist es. Sollte ich einen Artikel auf dem Computer schreiben, dann ginge es mir so wie Anna, als sie neben mir saß und im Ein-Finger-Suchsystem auf die Tasten hackte.

Anna
    Nachdem Silvie längst weg war und die Kinder schliefen, setzte sich Anna an den Computer und verbrachte die Stunde, bis Matthias nach Hause kam, vor dem Bildschirm. Sie musste etwas unternehmen. Gegen Matthias' Attacken kam sie nicht an, auch nicht gegen seinen Ehrgeiz. Wenn er sie in Ruhe ließe – und zwar in jeglicher Hinsicht –, dann wäre es etwas anderes. Aber so. Er hatte davon gesprochen, dass man ihre Anwesenheit bei der Übergabe eines Schecks durch den Lions Club erwartete. Ein Kinderheim in Frankfurt. Dann hatte er einen bedenklichen Blick auf ihren Kopf geworfen und gesagt, er werde sich etwas einfallen lassen. Eine familiäre Verhinderung. »Aber wenn die Haare nachgewachsen sind, musst du wieder mit. Man wundert sich, Anna. In der Partei genauso.« Dabei hatte sie dem ganzen Trubel noch nie etwas abgewinnen können. Anfangs schon, da hatte sie noch gedacht, sein ehrenamtliches Engagement käme aus dem Bedürfnis, zu helfen. Oder sein parteiliches aus dem Wunsch, tatsächlich etwas in der Stadt zum Guten zu verändern. Doch so war es nicht. Matthias wollte aufs Foto. Er stellte sich immer rechts, damit sein Name in der Bildunterschrift als erster erschien.
    Anna seufzte und blickte auf den Bildschirm. Sie hatte sich das ein bisschen einfacher vorgestellt mit dem Internet. Hatte gedacht, man könne dort alles finden; es hieß doch, man fände sogar die Anleitung zum Bau einer Atombombe. Schließlich gab sie es auf, fand nicht, wonach sie suchte. Schaute sich ein paar Prominentenbilder an, sah nach, was andere Mütter taten, um ihre Kinder in Schach zu halten, und dachte an Luna, die

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