Hirngespenster (German Edition)
Benutzerkonto. Ich sagte: »Ohne eigenes Log-in kommst du hier gar nicht rein, Anna, du wirst Matthias bitten müssen, dir einen Zugang einzurichten. Dann suchst du dir ein eigenes Passwort aus und damit meldest du dich dann an.«
Allein diese Nachricht war zu viel des Guten. Sie kämpfte offensichtlich mit den Tränen und erklärte mir in weinerlichem Tonfall, sie könne ihn unmöglich fragen, da er gar nicht wissen solle, dass sie an den Computer wollte.
Mir ging wieder die Hutschnur hoch. »Das kann er dir nicht verbieten, Anna, Internet ist Menschenrecht.«
»Es geht nicht darum, dass er es nicht will; es geht darum, dass er es nicht wissen soll!«
Jetzt war ich neugierig. »Wieso, was hast du vor?«, fragte ich. »Willst du ihm was Besonderes zum Geburtstag bestellen?«
Sie sah auf die Tischplatte, als hätte sie die große Erleuchtung. Dann hob sich ihr Blick, und sie sagte feierlich: »Ich frage ihn.«
Offenbar stellte es kein Problem dar, Matthias dazu zu bewegen, Anna einen Account einzurichten. Sie rief mich schon am nächsten Tag an und bestellte mich wieder zu sich. Natürlich fragte ich mich, warum nicht Matthias selbst ihr hatte zeigen können, wie alles funktionierte, aber ich sparte mir diese Frage – ich war froh, zu Hause rauszukommen. Zuerst richtete ich ihr eine E-Mail-Adresse ein und zeigte ihr dann, wie man googelt. Sie saß mit großen Augen an meiner Seite und sagte immer wieder »Oh!« und »Ach!«. Fast kam es mir vor, als hätte ich einen Steinzeitmenschen neben mir, und es machte mir mächtig Spaß, in ihre staunenden Augen zu blicken. Schließlich zeigte ich ihr noch die Seite der Frankfurter Rundschau, klickte mich durch bis zu einem Artikel, der aus meiner Feder stammte, und sie sagte: »Du lebst in einer anderen Welt.«
Das dachte ich allerdings auch. Die Welt meiner Schwester war schon vor langer Zeit stehengeblieben, und ich glaubte, sie wolle ihren Horizont erweitern, indem sie im Internet surfte und googelte. Ich gab »wie fälle ich einen Baum?« in die Suche ein, um ihr zu demonstrieren, welche unmöglich anmutenden Themen man eingeben konnte, und wir bekamen 565 000 Treffer angezeigt. Allerdings stellte sich schnell heraus, dass nur die wenigsten davon zu gebrauchen waren; Anna war dennoch schwer beeindruckt. »Wow«, sagte sie wieder und guckte auf den Bildschirm.
»Was willst du Matthias denn schenken?«, fragte ich neugierig und platzierte die Finger auf den Tasten, bereit, den Begriff einzugeben.
Kurz schaute sie mich verschreckt an, dann sagte sie: »Eine Duftlampe.«
»Eine Duftlampe?«
Sie lachte unsicher und erklärte: »Für Matthias' Büro. Dort riecht es aus dem Bad, sagt er, und ich dachte, das wäre eine gute Idee.«
»Naja«, erwiderte ich skeptisch und gab die Duftlampe ein. Die Auswahl war groß, sogar bei Tchibo hatten sie eine im Angebot. Die bestellten wir, und Anna bekam rote Wangen.
»Was noch?«, fragte ich, zu allem bereit.
»Kann man da wirklich alles eingeben?«
»Sicher. Was willst du denn wissen?«
»Gib doch mal ›wie raube ich eine Bank aus?‹ ein«, sagte sie und lachte herzhaft über meinen Gesichtsausdruck.
»Ich schätze nicht, dass es dafür eine Gebrauchsanweisung gibt, Anna«, scherzte ich und freute mich, dass sie so herzhaft gelacht hatte. Sie erhob sich, noch immer grinsend. »Ich spiele da heut Abend ein bisschen rum, Silvie, ich hab's jetzt kapiert, denke ich.«
Auf dem Rückweg nach Hause grübelte ich wieder über Jens nach. Eines war sicher, Johannes würde nicht aufhören, mich nach den Versicherungsverträgen zu fragen. Die letzten Abende hatte er mich immer mit zusammengekniffenen Lippen angestarrt, in seinem Blick trotzige Enttäuschung.
Was blieb mit also anderes übrig, als endlich diesen Anruf zu starten? Auf den Durchschriften der Anträge war ein Stempel mit seiner Bürodurchwahl abgedruckt – auf seinem Handy wollte ich ihn auf keinen Fall anrufen, schließlich sollte es ein geschäftlicher Anruf sein, kein privater. Mir raste das Herz, als es in der Leitung tutete. Doch er war nicht da, eine Kollegin nahm meinen Anruf entgegen. Herr Reimer sei zurzeit im Außendienst unterwegs und erst am Nachmittag wieder im Haus, teilte sie mir mit.
Ich legte auf und blickte aus dem Fenster. Im Außendienst, soso. Ich stellte mir vor, wie er im Fleming's an der Bar saß. Ein Glas in der schlanken Hand, ihm gegenüber eine Frau. Seine blauen Augen ruhten auf ihr. Der Blick nicht weich und verletzlich wie bei
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