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Hirngespenster (German Edition)

Hirngespenster (German Edition)

Titel: Hirngespenster (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ivonne Keller
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egal, ob ich mit den Armen rudere oder nicht, sie bringt mich ins Bett, deckt mich zu und macht das Licht in meinem Zimmer aus. Sie schert sich nicht um meine Meinung, auch sonst keiner.
    Das Zimmer, in dem ich untergebracht bin, war früher mein Arbeitszimmer. Johannes und Sabina haben es in trauter Zweisamkeit für mich hergerichtet, dieses lächerliche Bett hineingeschoben und den Schreibtisch rausgenommen. So ändern sich die Zeiten. Und nun liege ich hier und versuche einzuschlafen – was bleibt mir auch anderes übrig? –, und ich wünschte, Anna könnte bei mir sein.
    Ach, Anna!

Vier Jahre vorher
    Anna
    Anna fuhr mit den Kindern zum Einkaufen in den Supermarkt, wie jeden zweiten Tag. Sie parkte immer in der ersten Reihe links vom Eingang in der Tiefgarage. Wenn dort nichts frei war, wartete sie ab, bis jemand wegfuhr. Das konnte manchmal seine Zeit dauern, aber es war wichtig, auf einem dieser Plätze zu stehen. Kein anderer Platz kam in Frage. Heute hatte sie Glück, es war schon ein Platz in ihrer Reihe frei, als sie in die Garage einfuhr. Sie fuhr in die Parklücke und schaltete den Motor aus – eins –, legte den ersten Gang ein – zwei – und zog den Schlüssel ab – drei –. Dann atmete sie tief durch, wandte sie sich zu den Kindern um und erkundigte sich betont gut gelaunt: »Fertig, Mädels?!«
    »Jaa!«, riefen Emma und Clara, Luna nickte zustimmend.
    Während sie die Mädchen abschnallte, zählte sie wieder: bei – eins – drückte sie den Gurtöffner, bei – zwei – nahm sie die Gurtschlaufen von den Schultern und bei – drei – hob sie Clara aus dem Sitz. Luna und Emma kletterten schon selbständig heraus, aber für das Klettern zählte Anna auch eine Drei. Innerlich, selbstverständlich. Es war das Einzige, was sie zur Ruhe brachte, das Zählen. Egal, welche Tätigkeit sie ausführte: Alles ließ sich in drei Schritte aufteilen. Und wenn es eben sechs Schritte waren, dann teilte sie sie durch zwei: Duschen zum Beispiel, das hatte siebenundzwanzig Schritte. In die Duschwanne steigen – eins –, Wasser andrehen – zwei –, Temperatur prüfen – drei –. Unter dem laufenden Wasser stehen – eins –, Wasser abstellen – zwei –, Shampoo auf die Handfläche geben – drei –. Shampoo ins Haar reiben – eins –, Brause anstellen – zwei –, Shampoo auswaschen – drei – und so weiter. Sie hatte längst aufgegeben, sich das abzugewöhnen. Eine Zeitlang hatte sie es versucht, aber wofür? Immerhin kam sie dadurch zur Ruhe. Und dann mal ehrlich: andere rauchten. War das etwa kein Laster? Oder tranken, konnten nicht damit aufhören. Sie selbst rührte weder Zigaretten noch Alkohol an. Das Einzige, was sie sich hin und wieder gönnte, war eine Beruhigungstablette. Tablettenstreifen nehmen – eins –, Tablette rausdrücken – zwei –, Tablette in den Mund legen – drei –. Sie legte sie trocken in den Mund; mit dem Wasserglas kam sie nicht hin, ganz gleich, wie sie es auch versuchte. Pille in den Mund legen und gleichzeitig trinken waren zwei Schritte. Es war immer ein Schritt zu wenig oder zu viel. Egal, wie sie auch zählte, sie musste erst die Tablette in den Mund legen. Dann erst kam das Wasserglas an die Reihe: Schranktür öffnen, Glas rausnehmen, Schranktür schließen. Wasserflasche greifen, aufdrehen, eingießen. Glas zum Mund führen, schlucken, Glas hinstellen. So hatte sie eben eine Weile die Tablette im Mund liegen, es kam nicht darauf an. Dann hinsetzen, wenn es die Zeit zuließ, warten, bis sie wirkte.
    Meist ging es sehr schnell; dann setzte sich der Nebel auf die Gedanken, und die Nerven beruhigten sich. Sie trank viel, es war gesund. Wasser reinigte und beschleunigte den Blutkreislauf. Diese Vorstellung gefiel ihr.
    Anna öffnete den Kofferraum – eins –, lud den Kinderwagen aus – zwei – und setzte Clara, die laut protestierte, hinein – drei –.
    Silvie behauptete, Nils protestiere nie, wenn man ihn in den Kinderwagen setzte; er werde gerne im Kinderwagen gefahren. Dabei hatte Silvie keine Ahnung, sah alles locker. Schon als Kind hatte sie sich nicht um die Meinung anderer geschert, hatte den Lehrern Hefte mit Eselsohren präsentiert und den Eltern zerrissene Hosen. Ihre Art, lauthals zu singen, wo sie ging und stand, später ihre Hemmungslosigkeit den Jungs gegenüber, die sie ansprach und anfasste, als sei nichts dabei. Manchmal hatte Silvie sogar versucht, sie bloßzustellen, sagte »Das ist meine Schwester Anna« und hatte die Lacher auf

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