Hirschgulasch
›Mutter
aller russischen Städte‹, wir kommen wieder zurück zu dir!«
Es ist gar nicht schwer, das Gold loszuwerden. Leichter, als sie
gedacht haben. Die gegossenen Barren haben abgerundete Ecken und die typische
ungleichmäßige und matte Oberfläche des Edelmetalls. Auf einigen sind Name und
Symbol der DEGUSSA eingeprägt, dazu die Angabe
999,9 Feingold und das Gewicht, allerdings keine Seriennummer. Die
Fünfhundert-Gramm-Barren stammen vom Bankhaus Rothschild & Sons. Auch bei
ihnen fehlen die Seriennummern.
Sie dachten zuerst, das könne ein Problem beim Verkauf werden. Keine
Seriennummern, keine Zurückverfolgung der Herkunft. Aber es ist kein Problem.
Weder in der Oberbank noch in der Raiffeisenkasse, nicht in der Salzburger
Sparkasse und nicht im Bankhaus Vontobel, nicht bei der Hypo Salzburg und auch
nicht bei der Schoellerbank. Sie spazieren in die Banken, bieten das Gold an,
und nach einer routinemäßigen Echtheitsprüfung mittels einer Waage und einer
Größenschablone, was nicht einmal eine Minute dauert, zahlt man ihnen den
Gegenwert in Euro aus. Für ein Kilo bekommen sie zweiunddreißigtausendfünfhundert
Euro, dem aktuellen Tageskurs entsprechend. Beim Bankhaus Carl Spängler & Co.,
einer Salzburger Privatbank, die in einem rosafarbenen Zuckerbäckerhaus an der
Salzach residiert, eröffnen sie ein Konto und überweisen die Hälfte des Erlöses
darauf, die andere auf ein Konto bei der UniCredit Bank Austria.
Auf der Taxispur vor der Abflughalle am Flughafen Salzburg bleibt
hinter ihnen ein weiteres Taxi stehen. Die Fensterscheibe auf der Beifahrerseite
fährt nach unten, und eine dünne Rauchfahne aus dem Wageninneren steigt in die
Luft. Eine Frau mit hellblondem Pagenkopf, die Haarspitzen exakt auf Kinnlänge
geschnitten, auf dem Kopf eine riesige strassbesetzte Sonnenbrille. Sie streckt
ihre Hand aus dem Autofenster und streift Asche vom brennenden Zigarillo. Sie
sieht Wiktor direkt an, und tatsächlich, er täuscht sich nicht, sie zwinkert
ihm mit dem rechten Auge zu. Doch der Blick aus ihren dunklen Mandelaugen ist
kalt wie ein Grab. Die Tür öffnet sich, und ein Paar lange Beine in eleganten
schwarz-weiß karierten Pumps sucht Halt auf dem Gehsteig. Schwarze Strümpfe, schwarzes
kurzes Kleid, schwarzer Blazer, fast ein bisschen unheimlich, denkt Wiktor.
»Kommst du, Wiktorchen?«, ruft Marjana aus der Tür zur
Eingangshalle. »Wo hast du denn schon wieder deine Augen? Das ist doch gar
nichts für dich.«
»Ich habe einen Bärenhunger«, sagt Wiktor und nimmt die Koffer vom
Taxifahrer in Empfang. »Hallo, soll ich jetzt die Koffer alleine schleppen?«,
ruft er Luba und Marjana nach, die weitergehen und so tun, als hätten sie
nichts gehört. Er wuchtet das Gepäck auf einen Transportwagen und versucht, die
beiden einzuholen.
»Du buchst für uns drei jetzt den nächstmöglichen Flug nach Kiew«,
sagt er zu Marjana, als er zu ihr aufgeschlossen hat. »Koste es, was es wolle.«
»Genau, und daher gehen wir jetzt zu diesem Schalter. Gebt mir schon
mal eure Ausweise.«
Marjana läuft, Luba und Wiktor im Schlepptau, quer durch die
Abflughalle zu einem Ticketschalter.
»Dreimal Kiew, one way bitte.«
Die Frau im roten Kostüm mit dem neckischen blauen Halstuch von
Austrian Airlines ist konsterniert. »Gnädige Frau, wir sind hier doch nicht am
Hauptbahnhof, sondern am Salzburg Airport Wolfgang Amadeus Mozart. Das ist hier
nicht wie Fahrkarten kaufen. Also, wo wollen Sie bitte hinfliegen?«
»Nach Kiew, hab ich doch eben gesagt.«
»In Kiew gibt es zwei Flughäfen, nämlich Boryspil oder Schuljany.«
»Geht das nicht schneller?«, fragt Wiktor.
»Boryspil natürlich. Ich würde mich sehr wundern, wenn es von hier
aus einen Flug nach Schuljany gäbe.«
»Von hier aus gibt es überhaupt keinen Direktflug nach Kiew, womit
wir auch schon bei der nächsten Frage wären: Wollen Sie über Frankfurt, Zürich,
Amsterdam oder Wien nach Kiew Boryspil fliegen?«
»Das dauert mir viel zu lang. Hier sind unsere Ausweise, da ist meine
Kreditkarte.« Marjana nimmt sich einen Notizzettel vom Tresen und schreibt ihre
Handynummer und die Geheimzahl der Kreditkarte auf den Zettel.
»Und jetzt suchen und buchen Sie uns den nächsten Flug nach Kiew,
egal ob über Zürich, Hamburg, Amsterdam, Frankfurt oder Wien. Wenn sie das
schaffen, dann rufen sie mich auf dem Handy an. Wir gehen jetzt eine
Kleinigkeit essen. Spätestens in einer Stunde komme ich sowieso wieder zu
Ihnen. Und wir wollen wirklich den
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