Hirschgulasch
hier nicht aushalten. Ich
weiß nicht einmal, ob ich es mit Licht aushalte.«
»Kannst du mal mit dem Gejammere aufhören?«, fährt Luba sie an. »Was
siehst du, Wiktor? Kannst du was erkennen?«
»Ich glaube schon. Für mich ist das ein Eingang. Also anseilen!«
Wiktor steigt als Erster ab, dann Luba. Als sie auf die erste Ebene
kommen, klatschen sie die Hände gegeneinander: »Wir haben sie!«
»Marjana, kommst du?«, fragt Wiktor und versucht, sich zu
orientieren. Von der Stelle, an der sie stehen, gibt es zwei Gänge, die weiter
in den Berg hineinführen.
»Da, schau mal.« Luba zupft Wiktor am Ärmel. Er kneift die Augen
zusammen. In einem der Gänge, ziemlich weit entfernt, nähert sich ein
Lichtschein.
»Was ist denn nun? Soll ich runterkommen?«, ruft Marjana von oben.
»Jetzt warte doch mal«, ruft Luba zurück.
Wankend nähern sich die Kegel zweier Stirnlampen.
»Grüezi, seid ihr die Polen, die uns hier unterstützen wollten? Bist
du der Jan?«, fragt einer der beiden Männer, der mit dem längeren Bart, und
streckt Wiktor die Hand hin. »Ich bin der Guido, das ist der Urs, wir sind das
Team aus der Schwyz. Hallo noch einmal und entschuldigt, wenn wir euch
erschreckt haben.«
»Hallo«, bringt Luba heraus. Wiktor steht sprachlos daneben.
»Versteht ihr uns nicht?«, fragt Urs, dann wiederholt er seine Vorstellung
auf Englisch.
»Nein, wir sind nicht das Team aus Polen«, antwortet Luba. »Wir sind
nur zufällig auf die Höhle gestoßen und wollten sehen, wie es hier weitergeht.«
»Zufällig? Ihr seid zufällig auf diese Höhle gestoßen? Praktisch reingestolpert?
Und rein zufällig habt ihr eine komplette Höhlenausrüstung mit dabei?«
»Nein, natürlich nicht. Wir sind eigentlich drüben am Untersberg, im
Riesending, kennt ihr das?«
»Das Riesending? Freilich kennen wir das! Es ist an die tausend
Meter tief und zwölf Kilometer lang. Dann seid ihr ja Profis.«
»Na ja, wir wollten uns halt auch mal den Göll und seine Höhlen
ansehen. Geht’s hier noch weit rein?«
»Ungefähr einen Kilometer. Aber dann geht’s nicht weiter. Der eine
Gang ist zu schmal zum Begehen, der andere ist von einem Felssturz verschüttet.
Die Felsmassen kriegst du nicht weg.«
»Aha, na, dann wissen wir ja jetzt Bescheid. Geht ihr auch mit
rauf?«, fragt Luba.
Urs und Guido nicken.
»Was ist los, habt ihr das Gold schon ohne mich gefunden?«, schreit
Marjana nach unten.
»Wir haben Besuch bekommen«, antwortet Luba. »Aus der Schweiz. Und
jetzt mach Platz da oben. Wir kommen alle zusammen wieder rauf.«
Berchtesgaden, 29. Mai 2010
Magdalena Morgenroth quert die Göllflanke in nördlicher Richtung und
muss dabei durch einige Schneefelder laufen. Die Sonne steht bereits hoch am
Himmel, es ist mitten am Vormittag. Sie zieht die Jacke aus und stopft sie in
den Rucksack. Pling! Am Morgen hat sie beim Zuknöpfen ihrer Bluse den lockeren
Knopf schon bemerkt, jetzt ist er ab und irgendwo im Schnee verloren. Klasse,
denkt sie, sieht bestimmt sexy aus, wenn die Hälfte meines Busens zur Bluse
heraushängt. Aber es ist ihr egal. Sollen die Leute halt wegschauen, wenn es
sie stört.
Sie selbst sagt von sich, dass sie ein Berggewächs sei. Das Gesicht
nicht so glatt wie das anderer Frauen in ihrem Alter, die nicht bei jedem
Wetter in die Berge gehen, mit den Skiern ins Watzmannkar aufsteigen oder, wenn
es sein muss, auf zweitausend Metern Vieh zusammentreiben, das sich verstiegen
hat, oder sich an einem Seil hundertfünfzig Meter tief in einen Eistrichter abseilen.
Manchmal denkt sie, langsam wäre es wieder an der Zeit, einen
Partner zu finden, der zu ihr und in ihr Leben passt. Aber das ist nicht so
einfach. Er muss mit ihr mithalten können, wenn es ums Klettern, ums Skifahren
und ums Mountainbiken geht. Außerdem soll er nichts dagegen haben, wenn sie,
wie in diesem Jahr, eine Saison auf der Alm sein möchte, und darf nicht jeden
Tag dort aufkreuzen, um nachzusehen, ob auch wirklich alles in Ordnung ist.
Dann soll er keiner von denen sein, mit denen sie klettert und Ski fährt und
die sie für einen ganz tollen Kumpel halten. Er soll kein Hinterwäldler sein
und mit ihr auch in die Oper oder in die Disco gehen. Außerdem soll er sie als
Frau behandeln, ihr den Hof machen, ihr aber dabei auf keinen Fall auf die Nerven
gehen. Manchmal denkt sie, es könnte sein, dass sie für alle Zukunft allein
bleiben wird, aber noch hat sie die Hoffnung nicht aufgegeben. Wenn der
Richtige vor ihr steht, dann wird sie es
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