Hirschgulasch
Toten?«
»Nein«, sagt Leni. »Er ist Ukrainer.«
»Ukrainer? Wie heißt er denn?«
»Wladimir.«
Heinz überlegt. »Nein, einen Wladimir kenn ich nicht.«
»Und wieso hast du jetzt gedacht, du könntest ihn vielleicht kennen?«
»Ja, weißt, da sind grad auch noch andere Ukrainer unterwegs am
Göll. Eine Dreiergruppe. Die steigen dort oben herum, ich glaub, auch in
Höhlen.«
»Sind die schon länger da?«
»Ja, bestimmt schon ein, zwei Wochen. Die sind immer wieder bei uns
heroben, übernachten auch mal hier.«
»Und woher weißt du, dass es Ukrainer sind?«
»Weil ich sie g’fragt hab. Erst hab ich gedacht, es sind Russen.
Aber als ich sie g’fragt hab, wo sie herkommen, hat mir der Wiktor g’sagt, dass
sie aus Kiew sind. Wie die zwei Frauen heißen, die er mit dabeihat, hat er mir
nicht gesagt. Ein lustige G’sellschaft ist das schon.«
»Wieso?«, fragt Leni.
»Die ältere von den zwei Frauen raucht wie ein Schlot und säuft unseren
Enzianschnaps wie’s Wasser.«
»Und wie passen die zusammen«, fragt Leni, »ist das eine Familie
oder so etwas?«
»Nein, nach Familie schaun die eigentlich nicht aus, aber ich kann
mich ja auch täuschen. Einen Tag streiten sie miteinander und sitzen an
verschiedenen Tischen, die Frauen an einem, der Mann am anderen. Dann lachen
und saufen sie wieder zusammen und wollen nix wissen von einer Hüttenruhe. Wie
die eine Frau die Aufstiege auf den Berg und die Kraxeleien in den Höhlen
schafft, weiß ich nicht. Sportlich schaut die nicht aus. Die anderen beiden
schon.«
Leni zieht ihr Smartphone aus der Hosentasche, sucht das Foto, das
sie vom Ausweis des Toten gemacht hat, und zeigt es dem Wirt. »Ist es der?«
»Nein, der Wiktor ist nicht so kräftig wie der da. Der schaut ja aus
wie ein Bobfahrer.«
»Hast du diesen Mann hier oben schon mal gesehen?«
Er schüttelt den Kopf.
»Er hat gestern nicht bei dir übernachtet?«
»Nein, das glaub ich nicht, aber ich kann gleich nachschauen im Hüttenbuch.
Aber gestern war Vollmond. Du weißt ja, dass da schon einige vom Ofnerboden
oder von der Enzianhütte aufsteigen, ohne dass sie bei uns übernachten. Abends
ist doch die Mautstelle g’schlossen.«
»Schaust du trotzdem im Hüttenbuch nach?«
»Freilich.«
Auf dem Weg ins Haus dreht Heinz sich noch einmal um. »Die Traudl
hat frische Dampfnudeln g’macht. Magst eine?«
»Ja was glaubst du denn? Ich hab doch oben am Göll schon g’rochen,
dass es bei euch heut frische Dampfnudeln gibt«, sagt Leni. »Und nicht an der
Vanillesoße sparen, gell?«
Im Hüttenbuch, das Traudl ihr herausbringt, ist kein Wladimir eingetragen.
Dafür aber die drei, von denen der Wirt erzählt hat: Wiktor Putin, Marjana
Scharapowa und Luba Shumeyko. Putin und Scharapowa? Da hat sich aber jemand
einen Scherz erlaubt. Fehlen nur noch Gorbatschow und Jelzin.
Leni steigt vom Eckerfirst zum Sattel und von dort zur Enzianhütte
ab. Vom Purtschellerhaus hat sie ihre Kollegen verständigt, damit sie jemand
mit dem Wagen abholt, aber es ist noch niemand da. Vielleicht war sie schneller
als gedacht, oder der Kollege hat sich verspätet.
Auf dem Parkplatz an der Mautstraße stehen ein paar vereinzelte Wandererautos,
außerdem ein dunkelblauer BMW mit Münchner
Kennzeichen. Über den offenen Kofferraum beugt sich ein großer schlanker Mann
mit grauem, etwas längerem Haar und buschigem Schnauzbart, dessen Enden
aufgezwirbelt sind. Echt altbayerisch, denkt Leni. Und dann verpestet er auch noch
die Luft mit einem Zigarillo. Der Mann winkt in ihre Richtung, Dutzende
Fältchen zerknittern die Haut um seine Augen. Leni dreht sich um, aber hinter
ihr ist niemand. Der Schnauzbartträger macht den Zigarillo am Absatz seiner
Cowboystiefel aus und rollt ihn in ein Stück Alufolie, das in seiner
Jackentasche verschwindet.
»Leo Weidinger«, sagt er und streckt ihr die Hand entgegen. »Sie
sind doch die Morgenröte?«
»Morgenroth. Ich kenn Sie nicht.«
»Ich bin vom LKA München. Ihre
Kollegen haben mir gesagt, dass Sie grad vom Berg runterkommen, da hab ich mich
als Chauffeur angeboten, wenn’s Ihnen recht ist.«
» LKA ?«
»Das erzähl ich Ihnen alles gleich. Darf ich Ihnen den Rucksack
abnehmen? Steigen S’ doch ein.«
Leni steigt verschwitzt und mit staubigen Bergschuhen in den Wagen.
Weidinger setzt zurück und biegt rechts in die Mautstraße ein.
»Runter geht’s da«, sagt Leni und zeigt in die andere Richtung.
»Ich weiß, aber ich bin als Bub das letzte Mal die
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