Hirschkuss
ich hab das ›Obacht‹ genau gehört.« Soder schnäuzte sich.
»Also war es Herr Nachtweih, der den Baum gefällt hat, der Frau Nikopolidou erschlug?«, fragte Anne nach.
»Ja, schon, aber schuld war die selber!« Soder klang jämmerlich. Unsicher wischte er sich mit seinem karierten Stofftaschentuch den Schweiß von der Stirn. »Die hätt da nicht sein dürfen, wo sie war!«
»Und warum sagt’s das erst jetzt?«, fragte Nonnenmacher unwirsch.
Erneut tauschten die drei Holzfäller Blicke, die Anne nicht richtig einordnen konnte. Dann hob Zernet zu einer Erklärung an: »Es war eine Abmachung, ein Eid sozusagen. Mir vier arbeiten ja schon seit Ewigkeiten zusammen. Und deshalb haben mir schon vor Jahren ausgemacht: Wenn einmal so ein Unfall passiert …«
»Und das kann immer passieren!«, warf Soder ein.
»… dann – also, so haben mir das ausgemacht – wird die Leiche verräumt.«
»Verräumt!«, schimpfte Kastner empört. »Wie ein Umzugskarton, oder was?«
Zernet schüttelte unwillig den Kopf: »Die Rechnung schaut doch so aus: Wenn so was passiert, ist es schrecklich, weil ein Mensch tot ist. Aber wenn man dann die Leiche nicht …«, er suchte ein besseres Wort, »… wegtut und ihr von der Polizei dann daherkommt’s und überall umeinanderschnüffelt’s, dann ist nicht nur ein Menschenleben vernichtet, sondern gleich fünf Familien . Deswegen haben mir das gemacht.«
»Es war eine Vernunftentscheidung«, fügte Soder hinzu.
»Die Verdeckung eines fahrlässigen Totschlags soll eine Vernunftentscheidung gewesen sein?«, meinte Anne und zog die Augenbrauen hoch.
»Außerdem hätt uns eh niemand geglaubt!«, äußerte Zernet verzweifelt.
»Jetzt sollen wir’s euch aber schon glauben!?« Nonnenmacher schüttelte schnaufend den Kopf. Sein Magen hörte gar nicht mehr auf zu rumoren. »Da habt’s euch fei in ein sauberes Schlamassel hineinfabriziert.«
»Mir haben uns halt gedacht, die Frau ist eh tot, da ist es ja wurscht, wenn sie auf Nimmerwiedersehen verschwindet.« Zernet sah Nonnenmacher an. »Das war ein todsicherer Plan! Dass diese Scheißexplosion dazwischenkommt, das war halt …«, sein Blick irrte durch den Raum, »… Pech.«
»Die Leiche war optimal verräumt«, stimmte Zernet ihm bei, der nun, da das Geständnis auf dem Tisch lag, an Sicherheit zu gewinnen schien. »Mir haben mit dem Ruckerfahrzeug den alten Baum hochgehoben, die Frau unten hinein …«
»… und den Baum wieder runter, also auf sie drauf«, vollendete Soder den Satz und nickte Hannawald zu, der – das fand Anne merkwürdig – die ganze Zeit schwieg. »Das war die todsichere Lösung. So eine Zugmaschine hat doch im Wald niemand außer uns. An die Leiche kommt im Normalfall nie wieder jemand dran. Nie im Leben! Und vorher haben mir die mit Kalk eingestreut, damit sie schneller verwest. Mir haben an alles gedacht.« Wieder wischte Soder sich die Stirn.
»Na, da bekommt euer toller Trinkspruch ja eine ganz neue Bedeutung«, meinte Anne sarkastisch. »Auffi, obi, rum ums Eck … Aber rühren tut sich da jetzt nichts mehr …«
»Unmöglich seid’s ihr!«, regte sich Nonnenmacher auf. »Dass Einheimische zu so einer Untat fähig sind, das hätt ich nicht gedacht! Eine fremde Frau verschwinden lassen …«
»Unser Arzt hat aber auch Spuren von Salz auf der Leiche gefunden«, schaltete sich Kastner nun wieder ein.
»Ja, das stimmt«, pflichtete Soder ihm bei. »Das haben wir gemacht, damit der Fuchs nicht drangeht, nicht, dass es ihm doch irgendwann gelingt, die Leiche auszugraben.«
»Der Fuchs mag versalzenes Essen genauso wenig wie wir«, erhob jetzt endlich wieder einmal Josef Hannawald das Wort. Anne war seine Schweigsamkeit während der Vernehmung aufgefallen. Insgesamt hielt sie das Geständnis der Männer aber für glaubwürdig. Was wiederum bedeutete, dass Katja Engels die Wahrheit gesagt hatte. Hanna Nikopolidous Kollegin hatte definitiv nichts mit deren Verschwinden zu tun.
Nonnenmacher unterbrach Annes Gedanken: »Da werdet’s nicht mit einem blauen Aug’ davonkommen, das garantier’ ich euch.« Er sah die drei Männer strafend an. »Also dann raus mit euch, aber ihr haltet’s euch bis auf Weiteres zur Verfügung.«
»Aber Herr Nonnenmacher, wir können die doch jetzt nicht einfach gehen lassen!« Anne sah den Dienststellenleiter entsetzt an.
»Kurt! Fluchtgefahr! Da brauchen mir eine U -Haft!«, warf Kastner ein.
»Was, Fluchtgefahr? Wo sollen die denn jetzt hin? Das sind
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