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Hirschkuss

Hirschkuss

Titel: Hirschkuss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jörg Steinleitner
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Dass sie sich dabei die Hände hielten, fand Anne irgendwie schön.

Dienstag

    Anne, Nonnenmacher und Kastner saßen bereits im Besprechungsraum der Polizeidienststelle, als ein Kollege die drei Holzfäller in das Zimmer begleitete. Daran, dass die Männer nicht in ihrer üblichen Arbeitskleidung erschienen waren, sondern in feinen Trachtenanzügen aus Lodenstoff, erkannte Anne, dass sie den Termin ernst nahmen. Soders Händedruck war feucht, die Nervosität stand ihm ins Gesicht geschrieben.
    »Hockt’s euch her«, forderte Nonnenmacher die drei lässig auf und ignorierte dabei bewusst, dass es in ganz Deutschland mit Sicherheit keine zweite Polizeidienststelle gab, bei der Verhöre gruppenweise geführt wurden. »Also, die Frau Loop hat sich das Gutachten von unserem Rechtsmediziner noch einmal genau angeschaut. Und da steht ein Satz, den mir euch vorlesen wollen.« Er blickte zu Anne und sagte: »Frau Kollegin, bitte lesen.«
    »›Die Tote ist schwer entstellt. Ihr Zustand ähnelt in etwa dem einer Leiche, die unter einen Lastwagen geraten ist‹«, las Anne vor.
    »So«, übernahm Nonnenmacher wieder das Wort. »Weil Lastwagen eher selten im Bergwald umeinanderfahren, hat sich die Frau Loop gefragt: Was kann das sonst gewesen sein, was die Frau Nikopolidou dermaßen dermatscht hat? Und die Frau Loop und meine Wenigkeit sind zu dem Schluss gekommen, dass das bloß ein Baum gewesen sein kann.« Die drei Holzfäller starrten den Inspektionschef regungslos an. Hannawald rieb sich nervös den Dreitagebart. »Bäume fallen nach Adam Riese aber nicht einfach so um«, fuhr Nonnenmacher fort und blickte die Männer streng an.
    »Ah, Kurt, die Schwerkraft hat fei nicht der Adam Riese entdeckt, sondern das war der Newton«, warf Kastner hektisch ein.
    Der Dienststellenleiter kanzelte den Polizeiobermeister mit einem kurzen »Du G’scheithaferl bist jetzt stad« ab, was ein Preuße mit »Du Klugscheißer bist jetzt still« übersetzt hätte, wäre denn einer im Raum gewesen, und fuhr fort: »Bäume aber fallen nicht so einfach um, sondern da braucht’s jemanden, der wo nachhilft.«
    »Und das seid’s ihr!«, brach es aus Kastner aufgeregt hervor.
    Dieses Mal nickte Nonnenmacher. »Und deshalb will ich von euch jetzt wissen, was ihr wisst’s, zefix!«
    »Mir wissen gar nix«, sagte Hannawald schnell.
    »Außerdem kann die Frau doch gar nicht von dem Baum erschlagen worden sein, unter dem sie gelegen hat, so wie das alles ausgeschaut hat, wie man sie gefunden hat«, fügte Zernet hastig hinzu. Er schwitzte schon wieder auf der Halbglatze.
    »Und wie wäre es, wenn sie von einem anderen Baum erschlagen worden wäre?«, schaltete sich nun Anne in die Vernehmung ein. »Wie wäre es, wenn Sie, Herr Soder, einen Baum gefällt hätten, und der hätte Frau Nikopolidou erschlagen? Es könnte ja auch aus Versehen passiert sein. Ich erinnere mich ziemlich genau daran, wie Sie bei unserem ersten Gespräch im Wald – das war damals, als Sie diesen Likör tranken – in einem Nebensatz Leute erwähnt haben, die Ihre Absperrungen missachten und widerrechtlich durch Baumfällgebiet gehen. Könnte es sein, dass Frau Nikopolidou so zu Tode gekommen ist?«
    Die drei Männer in den Lodenanzügen tauschten Blicke, die Anne nicht recht zu deuten wusste. Da klopfte es dreimal an der Tür, der Polizeilehrling Hobelberger trat ins Dienstzimmer und hielt Nonnenmacher ein paar Unterlagen entgegen.
    »Chef, das kam gerade rein, Spurensicherung, Kreisstadt.«
    »Hobelberger, wir sind hier mitten in einem wichtigen Verhör!«, wies Nonnenmacher den Auszubildenden zurecht.
    »Gib es mir«, meinte Anne und nahm die Blätter entgegen. Der Lehrling verließ eilig den Raum.
    »Jedenfalls«, knüpfte Nonnenmacher an das eben Gesagte an, »… glauben wir, dass ihr mit dem Tod von der Frau Nikopolidou was zum tun habt’s. Ihr wart’s zum Zeitpunkt ihres Verschwindens genau da im Wald, wo die verschwunden ist. Ihr fällt’s Bäume, und du, Zernet, schwitzt gerade wie eine Sau vorm Schlachten. Ergo: Mit euch, da ist was faul!«
    Anne räusperte sich und deutete auf die Zettel, die Hobelberger gebracht hatte. »Es war tatsächlich eine Art … Bombe! Der Sprengstoffexperte hat Splitter von Kriegsmunition gefunden! Er vermutet, dass in dem Baum ein Waffendepot versteckt war, das hochgegangen ist!«
    »Wieso Waffen? Wieso Krieg? Mir sind doch nicht in Afghanistan!«, sagte Kastner erschüttert. »Bei uns war doch seit bald siebzig Jahren kein Krieg

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