Hirschkuss
tatsächlich stimmte. Bei dem Gedanken daran verspürte die Polizistin widersprüchliche Gefühle. Ein Kind zu verlieren war eine schreckliche Sache. Aber wie war es, wenn man eines verlor, das man sich gar nicht gewünscht hatte? Wie wäre das Kind aufgewachsen, wo jeder im Ort seine traurige Vorgeschichte kannte? Anne versuchte, die Gedanken an Helena Hannawald zu verdrängen. Sie nahm sich vor, nach vorn zu blicken und sich wieder mehr auf ihr eigenes Leben zu konzentrieren.
Genau dies fiel Cindy Mattusek mit einem Mal ganz leicht. Denn für die junge Witwe begann recht unerwartet ein völlig neues Leben. Sie, die noch in der Vernehmung behauptet hatte, sich rein gar nicht für Bayern zu interessieren, hatte – direkt im Anschluss an ihre Aussage bei der Polizei – eine traditionelle Ruderbootfahrt über den See gemacht und auf der nur vierhundert Meter langen Strecke einen Einwohner des Tals kennen und lieben gelernt: Ferdl Jochhauser war genauso jung wie sie und hatte es binnen kürzester Zeit geschafft, die Düsseldorferin von den Vorzügen des Freistaats, seiner Landschaften und der Menschen zu überzeugen, besonders natürlich von seinen eigenen. Beim Schmusen in einer frisch gemähten Wiese hatte er Cindy Mattusek dann dazu überredet, gemeinsam mit ihm eine Ausbildung zur Tätowiererin zu absolvieren und danach den ersten Bavarian-Tattoo-Stadel Deutschlands zu eröffnen. Cindy Mattusek fand diese Idee derart »abgefahren«, dass sie im Tal blieb.
Als Anne Johann von dieser Entwicklung erzählte, massierte er gerade ihre Füße; und nachdem sie beide eine ganze Weile lang schweigend über den See geblickt hatten, wo das Ruderboot gerade wieder einige Passagiere auf die andere Seite der Bucht brachte, flüsterte Johann Anne zu, dass ihre Ohrläppchen ihn an die Blätter von Glücksklee erinnerten. Dieses Kompliment kam Anne zwar irgendwie bekannt vor, aber sie spürte dennoch ein Prickeln im Bauch, das sich gut anfühlte.
Nonnenmacher saß just zur selben Zeit in seinem Freisitz und zischte ein Helles, das ihm seine Frau Helga, lediglich mit einem Bikini mit quietschbuntem Blumenmuster bekleidet, aus dem Keller gebracht hatte.
Sepp Kastner, dessen alte Mutter einfach nicht begreifen wollte, dass die Explosion der Weltkriegsbombe wirklich nichts mit den Milzbrandvergiftungen zu tun hatte, obwohl es sich bei Anthrax natürlich auch um einen biologischen Kampfstoff handelte, hatte ihr schließlich das Wort verboten und ihr eine Schachtel alkoholhaltiger Pralinen hingestellt.
Die Klosterkirche klebte noch immer am gut besuchten Bräustüberl dran, und so bestand insgesamt die begründete Hoffnung, dass dieser Sommer am See trotz aller Verbrechen und Todesfälle noch ein glücklicher werden würde.
NACHTISCH
Exklusiv für Sie, liebe Leserin, lieber Leser, hat sich der 3-Sternekoch vom Tegernsee, Christian Jürgens, von meinem »Hirschkuss«-Roman zu einem köstlichen Rezept inspirieren lassen. Ich wünsche Ihnen gutes Gelingen und große Genüsse mit diesen ganz besonderen Hirschküssen!
WALDERDBEER-HIRSCHKÜSSE
Die Zutatenmenge reicht für 20 bis 25 Stück.
Walderdbeerpüree
125 g Walderdbeeren
20 g Zucker
1 Spritzer Zitronensaft
25 ml Wasser
1 Schuss Grand Marnier
Zucker mit Wasser aufkochen, Walderdbeeren und Zitronensaft zugeben und einmal kurz aufwallen lassen. Dann den Grand Marnier hinzufügen. Im ausgekühlten Zustand durch ein Sieb streichen. Bis zur Weiterverarbeitung kühl stellen.
Nussboden
250 g weiche Butter
3 Prisen Salz
210 g Zucker
120 g Eigelb
250 g gesiebtes Mehl
50 g gemahlene Haselnüsse
50 g gehackte Haselnüsse
20 g Backpulver
Die Butter mit dem Salz und dem Zucker schaumig aufschlagen, dann das Eigelb zur Masse geben und weiter schlagen. Nun das Mehl, die gemahlenen und gehackten Haselnüsse sowie das Backpulver schnell unter die Masse mischen. Den Teig zwischen zwei Backpapieren 4 mm stark ausrollen und bei 170 °C 6 bis 8 Minuten hell backen. Herausnehmen, mit einem Ausstecher mit 5 cm Durchmesser 20 bis 25 Kreise ausstechen und fertig backen, bis sie goldbraun sind, dann auskühlen lassen.
Schaummasse
7 – 9 Blatt Gelatine (je nach Wunsch, wie fest der Hirschkuss werden soll)
100 g Walderdbeerpüree (siehe oben)
2 Eiweiß
225 g Zucker
40 g Glukosesirup
55 ml Wasser
Gelatine in kaltem Wasser einweichen, Walderdbeerpüree aufkochen und die ausgedrückte Gelatine im warmen Püree auflösen. Eiweiß zu Schnee
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