Hirschkuss
sollten wir uns vorknöpfen!«
»Im Wald?«
»Nein, ich glaube …«, antwortete Anne nachdenklich, »… dieses Mal wäre es besser, sie vorzuladen. Ich habe so ein Gefühl …« Anne blickte den Kollegen mit entschlossenem Blick an. »Wir bestellen sie uns für morgen früh, acht Uhr, ein.«
Als Anne nach Dienstschluss und der Umrundung des Sees – dieses Mal war sie über die Südseite gefahren – das Türchen zu ihrem kleinen Garten öffnen wollte, wurde sie von Frau Schimmler abgefangen. Die Nachbarin war mit ihrem » BMW «, wie es ihn nannte, unterwegs, was nichts anderes war als ein Einkaufswägelchen. Die alte Frau sah wieder zerzaust aus.
»Frau Kommissar«, raunte sie. »Haben’S schon gehört, was man sagt?«
»Was denn?«, wollte Anne wissen.
»Dass es gar nicht stimmt, was in der Zeitung steht.«
»Was steht denn in der Zeitung?«, fragte Anne spitz. Das Geschwätz der alten Nachbarin interessierte sie kein bisschen.
»Der Herr Schellinger schreibt, dass es sich um eine geplante Sprengung gehandelt hat, bei der ein Fehler unterlaufen ist.«
»Soso«, erwiderte Anne.
»Ja«, raunte die Alte im karierten Rock. »Die Yogis waren es!«
»Die Yogis?« Anne spielte kurz mit dem Gedanken, im Kreiskrankenhaus anzurufen. Vielleicht konnte jemand Frau Schimmler abholen und ruhigstellen.
»Ja, die Yogis. Die bauen dort ein Wald-Yoga-Zentrum. Ein Guru aus Indien, der Bürgermeister und der Rötlinger vom Sägwerk!«
»Ein Guru aus Indien, der Bürgermeister und der Rötlinger vom Sägwerk?« Anne spielte ungeduldig am Bremskabel ihres Mountainbikes herum.
»Und es heißt, dafür brauchen die Platz im Wald, weil die wollen auch Nackt-Yoga anbieten.«
»Nackt-Yoga?« Anne runzelte die Stirn.
»Ja, und die wollen ihre Übungen draußen machen. Aber da stehen ja lauter Bäume! Deshalb müssen die weichen.« Die Alte schniefte, ein Tropfen Rotz blieb dennoch an ihrer Nasenspitze hängen. »Aber dafür gibt’s keine Genehmigung. Deswegen hat der Rötlinger – Sie wissen schon, der vom Sägwerk –«, Anne nickte, »anscheinend einen Sprengsatz mit Zeitzünder deponiert und auf Sonntag programmiert. Sonntag, damit er niemanden aus’m Tal gefährdet. Am Sonntag sind ja bloß Auswärtige unterwegs, und um die ist’s nicht schad’. Er konnt’ ja nicht wissen, dass die Holzfäller wegen der Agenda Zweitausendundzehn neuerdings auch am Sonntag fällen!« Die Alte sah einen Moment lang über Annes Garten hinweg zum See. »Sie sehen schon, es hängt alles zusammen. Aber wenn Sie mich fragen, kann man dem Rötlinger, also dem vom Sägwerk, Sie wissen schon, keinen Vorwurf nicht machen. Also für den Tod von dem Nachtweih.«
Anne nickte, ihr Gefühlszustand wankte zwischen Belustigung und Genervtheit.
»Dass die für so einen esoterischen Scheißdreck unsern Wald ermorden, ist natürlich nicht in Ordnung.« Diesen Satz sprach die Alte mit großer Garstigkeit. »Das ist ein Verbrechen. Und Sie, Frau Kommissar, haben die Aufgabe, das wieder zum richten! So, das war’s, habe die Ehre, Frau Lobinger!«
Frau Schimmler wandte sich ab und schlurfte, ihren BMW im Schlepptau, in Richtung ihres Hauses.
Anne schüttelte den Kopf, schob das Fahrrad in den Garten und bekam, weil der Seewind den Geruch gegrillten Fleischs an ihre Nase wehte, plötzlich Lust auf Grillen. Schnell sah sie auf die Uhr, aber um Würste und Steaks zu kaufen und ein Feuer zu machen, war es schon zu spät. Lisa musste am nächsten Tag wieder in die Schule und sollte nicht so spät ins Bett. Sie sperrte die Tür auf und betrat den Vorraum. Doch hier roch es noch mehr nach Gegrilltem! Und schon kam ihre Tochter ihr entgegengesprungen. »Mama, wir grillen!«
»Wie, hast du selber ein Feuer angemacht?« Anne war baff. »Das darfst du nicht! Das ist doch viel zu gefährlich!«
»Nein«, freute Lisa sich. »Das war der Johann!«
»Der Johann, der ist doch gar nicht da!«
Doch da trat er bereits mit einem Brotkorb voller Baguettestücke von der Küche in den Flur und sagte in einem fröhlichen Singsangton: »Hallo, wir grillen!«
Anne war in diesem Moment so glücklich, dass sie gar nicht fragte, warum Johann vorbeigekommen war, ohne ihr Bescheid zu sagen. Denn eigentlich war es ein ganz normaler Montag. Die drei verbrachten einen munteren Abend. Die Erwachsenen tranken eiskaltes Bier und Annes Tochter Limonade. Lisa durfte ausnahmsweise bis neun Uhr aufbleiben, und später saßen Johann und Anne am Tisch und blickten auf den See.
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