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Hiske Aalken 01 - Die Lebenspflückerin

Hiske Aalken 01 - Die Lebenspflückerin

Titel: Hiske Aalken 01 - Die Lebenspflückerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Regine Kölpin
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die Bezahlung für die Kammer hernehmen sollte. Eben spielte ein Gaukler ein Lied auf seiner Schalmei. Der Tag nahm einen besseren Verlauf, als Hiske angenommen hatte.
    »Wer hat Euch denn in den Burghof gelassen?«, fragte die Frau, deren Gesicht merklich weicher geworden war, nachdem Hiske ihr Angebot angenommen hatte.
    »Das Tor stand offen, und die Wachen waren nirgendwo zu sehen.«
    Adele lachte. »Manchmal geben sie nicht gut acht. Aber wer sollte hier auch schon diese unwirtliche Gegend überfallen, wo man erst Land gewinnen muss, damit man überhaupt leben kann. Wer kommt schon freiwillig in dieses Sumpfloch?«
    Hiske zuckte mit den Schultern. »Es gibt immer Gründe. Ich möchte auf jeden Fall vorerst bleiben.« Sie sah sich um. »Bin ja wohl nicht die Einzige. All diese Menschen sehen nicht aus, als seien sie hier schon sesshaft.«
    Wie zur Bestätigung schrie einer der Männer aus dem Wagen, zu was für einem Saustall der Burghof verkommen war und dass es an der Zeit war, endlich etwas zu unternehmen. Die Menschen im Lager waren zwar durch den Mord aufgeschreckt, doch gingen alle bereits wieder ihrem Tagwerk nach, als sei nichts geschehen. Die Lebendigkeit glich einem Bienenstock. Überall wurden Feuer geschürt, überall hingen Kessel darüber, aus denen es dampfte. Hin und wieder waberte eine Schwade mit Essensgeruch zu Hiske. Sie bemerkte erst jetzt, wie hungrig sie war.
    Adele aber rümpfte die Nase. »Die da oben müssen sich bald was einfallen lassen, es wird von Woche zu Woche enger. Und schmutziger. Der Kerl von eben hat recht.«
    »Wer sind die vielen Menschen, die hier leben?«, fragte Hiske.
    Rund um Jever hatte sie solch ein Lager, das einer Wagenstadt ähnelte, nie gesehen. Dazu kamen die vielen Menschen, die in den Stallungen hausten. Die Zustände erschienen der Hebamme mehr als schlecht, die Hygiene ließ überall im Lager zu wünschen übrig.
    »Die meisten kommen aus Holland. Die anderen aus Oldersum und ein paar aus Westfalen.« Westfalen betonte Adele auf eine Weise, als sei es etwas ganz Besonderes, von dort in die Herrlichkeit zu kommen.
    »Warum wollen sie hier leben?«
    »Sie warten auf bessere Zeiten, wissen im Kaiserreich sonst nicht, wohin.«
    Hiske sah sie fragend an, und Adele quetschte sich das Wort »Flüchtlinge« heraus.
    Hiske betrachtete die Menschen. Ein Mann war gerade dabei, den Unrat zusammenzufegen und auf eine Schubkarre zu laden, andere fegten ihre Wagen aus, wieder andere boten Waren feil, die sie in die Auslagen der Wagen gelegt hatten. Viel war es nicht, aber Hiske war doch überrascht über das Angebot.
    »Wir haben alles, was man braucht«, erklärte Adele. »Käse, frisches Brot, einen Stellmacher, einen Schmied, Leinenweber, Fischer … Zu darben brauchen wir nicht, aber seht selbst …«
    Trotz des frühen Morgens waberte ein penetranter Gestank aus Bier, Käse, gegerbtem Leder und verbranntem Holz über das Lager. Und ganz eindeutig mischte sich auch der Geruch nach Exkrementen darunter, vermutlich vom gemeinschaftlichen Abtritt. Wie mochte es wohl erst im Sommer werden, wenn die Sonne diese Dunstglocke noch aufheizte? Ganz eindeutig lebten hier viel zu viele Menschen auf zu engem Raum.
    Hiske hob das Gesicht und sog eine frische Brise ein, die vom Meer herüberwehte. Es roch nach Schlick, ein bisschen fischig. Die Luft schien mit Salz geschwängert und war auf jeden Fall angenehmer als dieser Gestank hier. Die hiesigen Zustände waren sogar schlimmer als in den dunkelsten Ecken Jevers, wie der Petersilienstraße, wo sich das fahrende Volk mit dem Scharfrichter und den Huren die Häuserzeilen teilte.
    Hiske wunderte sich, dass die Regentin solche Zustände in ihrem Hof ertrug, und sie fragte sich, was die Menschen getrieben haben mochte, sich freiwillig in diese Einöde zu begeben. Sie selbst hatte einen Grund, für sie bestand in Jever Gefahr für Leib und Leben. Was aber trieb diese Menschen aus Holland und anderen Landesteilen, wo es ihnen bestimmt besser gegangen war, hierher? Flüchtlinge, hatte Adele gesagt. Es waren aber so viele. Warum hatten sie aus ihrer Heimat fortgemusst? Soweit Hiske wusste, war dieses Gebiet nur in trockenen Sommermonaten von der Landseite aus zu erreichen, wenn die umliegenden Moore trocken fielen. Ansonsten blieb nur der beschwerliche und lange Weg mit Knorren über das Meer. Irgendetwas war seltsam hier, sie konnte nur nicht sagen, was genau es war.
    Hiske beobachtete, wie man den Toten, den man in einen Sack gewickelt

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