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Hiske Aalken 01 - Die Lebenspflückerin

Hiske Aalken 01 - Die Lebenspflückerin

Titel: Hiske Aalken 01 - Die Lebenspflückerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Regine Kölpin
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schüttelte das Strohkissen auf, scheuerte den bereitgestellten Tisch mit Sand. Bald würde auch sie nicht mehr allein sein müssen, bald würde sich ihr Leben ändern, und alles wäre gut.
    Der Knabe hatte nur kurz geschlafen. Er wollte zum Meer, wie jeden Morgen. Er musste kontrollieren, ob alles seine Ordnung hatte, musste nachsehen, wie weit die Menschen mit dem Wall gekommen waren. So füllte er seinen einsamen Tag aus. Wie immer war er von großer Furcht geprägt, das Wasser könne endgültig nicht wiederkommen. Er hatte davon geträumt, dass es eines Tages so war. Ein großer Damm würde sich zwischen die Ufer schieben und das Meer für immer aus seiner Heimat vertreiben. Die Menschen waren schuld, wenn es dazu kam.
    Er musste sie aufhalten, irgendwie. Manchmal hatte er schon das Messer gezückt, wenn er sich zum Brack aufmachte. Fest mit der Hand umklammert, schlich er sich an die Männer heran. Doch obwohl er groß und kräftig war, wagte er es nicht, es wirklich zu benutzen. Es waren zu viele.
    Vor das Auge des Knaben schob sich erneut das Bild dieser Nacht. Der bleiche Mann war der gewesen, der das Meer bändigen wollte. Er hatte mit hohlen Augen in den Himmel gestarrt, und da war dieses klebrige Etwas gewesen, das so seltsam gerochen hatte. Die Hand des Knaben fuhr augenblicklich zum Schaft des Messers, das genau dort steckte, wo es hingehörte. Es war gut, dass der Mann den anderen nun nicht mehr befehlen konnte, weiterzumachen. Vielleicht würde der Knabe jetzt aufhören können zu träumen, dass das Meer verschwand.
    Der Mann atmete nicht mehr, und wer das nicht tat, konnte auch keine Dämme bauen.
    Trotzdem mochte der Knabe nicht mehr an den Mann denken. Er hatte etwas gesehen, was er nicht hatte sehen wollen, und wenn er daran dachte, drehte sich sein Magen um, und es schmerzte in seinem Kopf. Er musste sich sofort hinsetzen, die Hände an die Ohren pressen und sich selbst hin und her wiegen.
    Wichtig war einzig, dass das Meer blieb. Das Meer, die Wellen, das Wasser …
    Hiske wollte nach ihrer Unterredung mit Krechting Adele suchen, aber sie war unauffindbar. Stattdessen traf sie auf die Marketenderin Anneke, die ihr etwas Brot mit Käse und einen Becher Dünnbier gab, das abscheulich morastig schmeckte.
    Nun tranken sie ihre Suppe aus irdenen Schüsseln. Hiske hatte unter dem Rock ihren eigenen Löffel versteckt, wollte aber Anneke nicht beschämen und ließ ihn, wo er war.
    »Viel haben wir auch nicht, aber wir geben gern ab«, sagte Anneke eben. »Das Bier schmeckt dünn und fad, da bist du sicher ein besseres gewöhnt. Wir brauen es aus einem Rest Brot und Wasser, denn Letzteres kannst du hier unvergoren nicht genießen.«
    Hiske nahm einen Schluck, es kostete sie nach ihrem ersten Eindruck wirklich Überwindung, aber sie musste sich wohl oder übel daran gewöhnen. Es gab schließlich nichts anderes.
    »Wo willst du bleiben?«, fragte Anneke. Doch statt die Antwort abzuwarten, redete sie gleich weiter: »Der Stall ist voll, die Wagenburg auch. Sie wollen bald was ändern, habe ich gehört. Die Häuptlingsfrau will das in ihrem Hof nicht mehr länger dulden. Sie spricht von einer Siedlung, die am neuen Deich rund um das Siel entstehen soll.«
    Hiske sah sich um. »Schlecht wäre es sicher nicht, die Zustände sind nicht die besten hier. Um nicht zu sagen: Sie sind unhaltbar.«
    »Wohl wahr.« Anneke blickte ebenfalls über das Lager. »Zuerst war es nicht so übel, aber jetzt … täglich wird es schlimmer, und mit jeder Schiffsladung kommen neue Menschen. Dann jetzt noch der Tote. Mich graust es hier.«
    Hiske pflichtete ihr bei. »Es ist sehr freundlich, dass die Häuptlingswitwe sie alle aufnimmt, vor allem, wo die Leute direkt bei ihr auf der Burg untergebracht sind und sie so auch unter den Zuständen leidet. Man sagt, ihr seid Flüchtlinge?«
    Anneke wechselte sofort das Thema. »Du musst dir eine eigene Unterkunft suchen. Ich kann dich auch schlecht mit in den Wagen nehmen …«, sie stockte, »ich empfange … heimlich …«
    Hiske winkte ab. »Ist gut. Musst nicht weiterreden. Vorne die Waren und hinten eben das. Mir brauchst du nichts vorzumachen.«
    Anneke nickte erleichtert. »Auch hier nehmen sich die Männer, was sie brauchen. Und ich bekomme etwas Käse und Brot dazu. Manchmal sogar einen Schap. Mir geht es ganz gut damit.«
    Hiske setzte die Suppenschüssel noch einmal an. Dabei fiel ihr Blick auf ihr Kleid, das völlig verschmutzt war. Sie musste sich dringend waschen und

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